Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

142 DER STREIT UM DEN ELSASS 
anderen Sorgen und Nöte hatten! Der nachmalige König Ludwig IH. ist 
mir stets ein freundlicher Gönner gewesen und auch nach meinem Rück- 
tritt geblieben. Er zeigte mir das schon in Homburg, indem er sich, wenn 
wir abends beim Kaiser zusammentrafen, mit mir über sein Lieblings- 
thema unterhielt, die stolze Vergangenheit seines Hauses, das ja auch in der 
Tat eines der ältesten und ruhmvolisten Fürstengeschlechter ist. „Sehen 
Sie“, setzte er mir auseinander, „ich könnte König von Italien sein, denn 
wir stammen in dirckter Linie von König Berengar ab, dem Sohn König 
Eberhards von Friaul und Enkel Kaiser Ludwigs des Frommen, der nach 
Karls des Dicken Tode 888 zum König von Italien erhoben und gekrönt, 
leider aber 924 ermordet wurde. Es ist mir übrigens ganz lieb, daß ich nicht 
König von Italien bin“, fuhr der hohe Herr scherzend fort, „denn zwischen 
den Ansprüchen des italienischen Volks auf Rom als Capitale di Regno 
und meiner Ehrfurcht vor dem Heiligen Vater käme ich in eine mißliche 
Lage. Ich stamme aber auch von den Stuarts ab, und jedes Jahr erhalte ich 
von englischen Jakobiten ein Huldigungstelegramm zu meinem Geburtstag. 
Aber darum keine Kriegserklärung an die Dynastie Hannover-Koburg! 
Daß mein Haus in Schweden und von Schweden aus in Polen regiert hat, 
wissen Sie. Die österreichischen Niederlande, das heißt Belgien, sind uns 
1786 wenigstens angeboten worden. Wir haben aber auch prächtige Länder 
verloren: ich komme nie nach Ludwigshafen, ohne daran zu denken, daß 
Mannheim einst meinem Hause gehörte, und ohne in der Ferne nach Heidel- 
berg auszuschauen, wo wir residiert haben. Nun, wie Gott will.“ 
Aus solcher Denk- und noch mehr Gefühlsweise gingen während des 
Weltkriegs die Aspirationen des Königs von Bayern auf das Elsaß hervor; er 
soll sogar an eine Personal-Union zwischen Bayern und Belgien gedacht 
haben, da er sich für besonders geeignet hielt, letzteres uns zu assimilieren. 
Ludwig III. war durchaus nicht der einzige deutsche Fürst, der sich zu 
vergrößern wünschte. Kaum hatte Bayern seine Ansprüche auf das Elsaß 
angemeldet, als Sachsen als „Kompensation“ wenigstens Mülhausen, Thann 
und Altkirch verlangte, Württemberg nach Mömpelgard (Montbeliard) mit 
der Begründung schielte, daß diese Grafschaft bis zum Beginn des 19. Jahr- 
hunderts dem Hause Württemberg gehört hätte. Nur Baden war saturiert 
und wünschte, daß Elsaß Reichsland bleibe. Vergrößerungstrieb und Län- 
dergier waren allen deutschen Fürsten und Dynastien seit Jahrhunderten 
eigen und flackerten kurz vor ihrem Zusammenbruch noch einmal auf, 
nicht nur im Westen, sondern auch im Osten, wo Kurland, Finnland, 
Litauen die Begierden reizten. 
Während Kaiser Wilhelm sich weiter den Manöverübungen widmete, 
Szögyenyi- kehrte ich nach Berlin zurück. Es erschien mir wünschenswert, mit den 
Marich dort akkreditierten Botschaftern persönliche Fühlung zu nehmen. Öster-
	        
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