Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

154 FRANZ JOSEFS HUMOR 
Botschafter in Berlin, Graf Szögyenyi, hat mir proprio motu gesagt, daß 
Fürstenberg über alles politisch Interessante, was er am preußischen Hofe 
höre, nach Wien berichte. Das wäre begreiflich bei einem Österreicher, 
der durch Geburt wie durch Sympathien, durch seine Mutter und durch 
seine Frau Vollblut-Österreicher sei. Seine, des Botschafters Pflicht, 
Gewissens- und Anstandspflicht wäre es, mir dies offen zu sagen. 
Kaiser Franz Josef hatte sich bei allem Ernst, der ihm eigen war und 
den die schweren Schicksale, die ihn während seiner mehr als sechzig- 
jährigen Regierung betroffen hatten, naturgemäß noch erhöhten, den 
österreichischen Hang zum Humor, zu gutmütigem und gutartigem 
Humor bewahrt. Er stand bis in sein hohes Alter sehr früh auf, zwischen 
vier und fünf Uhr morgens, ging dafür aber abends so früh wie möglich, 
wenn es anging, nicht nach neun Uhr, zu Bett. Sein Minister des Äußeren, 
Graf Goluchowski, hatte gerade entgegengesetzte Gewohnheiten. Er legte 
sich erst lange nach Mitternacht schlafen, stand aber dafür vormittags 
möglichst spät auf. Als er seinen Kaiser auf einer Reise nach Rumänien 
begleitete, sagte ihm dieser lächelnd: „Mein lieber Graf, ich weiß, daß Sie 
früh gern ausschlafen. Darum bitte ich Sie, nicht schon um fünf Uhr, 
sondern erst um sechs Uhr morgens zum Vortrag bei mir zu erscheinen.“ 
Von einem grimmigeren Humor zeugt eine mir verbürgte Äußerung, die 
Kaiser Franz Josef im Herbst 1866 machte. Es war auf einer Jagd. Der 
Kaiser befand sich, wie sich dies nach einem verlorenen Krieg begreifen 
ließ, in trüber Stimmung. Seine Adjutanten glaubten die Laune Seiner 
Majestät dadurch zu verbessern, daß sie nach Möglichkeit auf die Preußen 
schimpften, und natürlich besonders auf Bismarck. Einer der Herren ver- 
stieg sich zu der Behauptung, er wisse aus sicherer Quelle, daß Bismarck 
sich täglich in Schnaps besaufe. „Ach Gott‘, meinte Kaiser Franz Josef, 
„wenn meine Minister doch auch Schnaps trinken wollten!“ Kaiser Franz 
Josef hat sich bekanntlich selbst einmal mit den Worten charakterisiert, 
er glaube, daß er ein vorzüglicher Hofrat geworden sein würde. Ähnliches 
soll schon sein Großvater, Kaiser Franz I., von sich selbst gesagt haben. 
Es lag eine gewisse Tragik darin, daß derselbe Monarch, den es nach dem 
bescheidenen Lorbeer eines biederen Beamten gelüstete und dessen in- 
timste Neigungen eine gutmütige und harmlose Natur verrieten, in der 
Phantasie ganzer Völker als grausamer Henker lebte. Die Italiener nannten 
ihn den „gran Impiccatore‘, den großen Hänger, und bis an sein Lebens- 
ende konnte ihm ein großer Teil der Ungarn nicht die vielen Todesurteile 
verzeihen, die er nach der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes 
1849 in Pest, in Temesvär, in Arad hatte vollziehen lassen. Die letzten 
Jahre seiner Regierung sollten wieder durch zum Teil grausame Exeku- 
tionen in Galizien, in Dalmatien, an der Save und an der Narenta, in
	        
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