DER UNSENTIMENTALE FRANZ JOSEF 155
Bosnien und in der Herzegowina getrübt werden. Und in Rom gemahnt eine
gegenüber dem Palazzo Venezia, dem langjährigen Sitz der Österreichischen
Botschaft beim Vatikan, angebrachte Marmortafel, aber auch eine Marmor-
büste auf dem Pincio an die grausame Hinrichtung des Bürgermeisters
und Abgeordneten von Trient, Cesare Battisti, der während des Weltkriegs
in der Schlacht mit den Waffen in der Hand in österreichische Gefangen-
schaft geriet und, obwohl schwerverwundet, gehängt wurde. Als Kaiser
Franz Josef starb, wiesen englische und französische Blätter darauf hin,
daß wohl nie ein Monarch, wenigstens kein nicht asiatischer und nicht-
afrikanischer Fürst, während seiner Regierung so viele Todesurteile unter-
zeichnete habe. Das „Erst wollen wir einmal a bißl hängen“, das der einzige
geniale österreichische Staatsmann, Fürst Felix Schwarzenberg, 1849 den
um schonendere Behandlung der magyarischen und italienischen Rebellen
bittenden ungarischen und lombardischen Aristokraten zurief, galt vom
Beginn bis zum Ende der achtundsechzigjährigen Regierung des Kaisers
Franz Josef, einer der längsten Regierungen der Weltgeschichte.
Wohl der wichtigste Unterschied zwischen ihm und Kaiser Wilhelm be-
stand darin, daß dem Oberhaupt der Doppelmonarchie alle und jede
Phantasie versagt war, die dem Deutschen Kaiser die Natur nur allzu ver-
schwenderisch in die Wiege gelegt hatte. Darum war Franz Josef I. außer-
stande, die leitenden Strömungen der Gegenwart, die Ideale und innersten
Aspirationen, die Tugenden wie die Fehler seiner vielen Völker zu verstehen,
geschweige denn sie für staatliche Zwecke klug zu benutzen. Wie er die
Gegenwart oft falsch sah, so fehlte ihm auch die Intuition für das Kom-
mende. Wilhelm II. sah oft, leider sehr oft, falsch, recht falsch, aber er
hatte Visionen, Zukunftsperspektiven, er hatte Geist. Wenn er sich bis-
weilen zu schwungvoll gab, so war Kaiser Franz Josef ganz schwunglos.
Es ginge vielleicht zu weit, zu sagen, er wäre gefühllos gewesen, aber er
zeigte seine Empfindungen nur den allerwenigsten. Es ist ihm kaum je
gelungen, in persönlicher Rücksprache, unter vier Augen, einen Gegner in
einen Freund zu verwandeln, einen Politiker einzufangen. Er war kein
Menschen-, kein Seelenfänger, während Wilhelm II. mit dem unleugbaren
Zauber seines Wesens mehr als einen für sich gewonnen hat, der mit
innerem Widerstreben gegen die Pläne und Ideen des Monarchen zu ihm
gekommen war. Im Gegensatz zu seinen österreichischen und namentlich
seinen Wiener Untertanen fehlte Franz Josef I. jeder sentimentale Zug.
Wie er stoisch eigene Schicksalsprüfungen trug — und welche Schicksals-
schläge! persönlicher wie politischer Natur! — so war er auch für die
Schicksale und Leiden anderer unempfindlich und brachte es gegenüber
den vom Unglück Betroffenen im besten Falle zu einigen ganz banalen,
ganz konventionellen Worten. Wilhelm II. war ergreifend in seiner Teil-