Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

162 BISMARCK ÜBER DIE MAGYAREN 
bis dahin ganz kaisertreuen Hause stammte, rechtzeitig wiederzugewinnen, 
Als Apponyi seine erste antiösterreichische und in gewissem Grade anti- 
dynastische Rede hielt, sagte mir der Botschafter Graf Szögyenyi, der 
schon mit dem Vater des Grafen Albert Apponyi befreundet gewesen war: 
„Als ich die Rede von Albert Apponyi las, war ich so entsetzt, als wenn ich 
meine verstorbene Mutter auf dem Kirchhof hätte Cancan tanzen sehen.“ 
Derselbe Szögyenyi meinte aber auch, daß Wien, als Albert Apponyi an- 
fing eine parlamentarische Rolle zu spielen, ihn mit dem Gesandtenposten 
in Athen hätte gewinnen können, nach einigen Jahren noch mit einer Bot- 
schaft, jetzt aber täte er es nicht mehr unter der Entthronung des alten 
Kaisers. Graf Andrässy machte alle Übertreibungen des Grafen Albert 
Apponyi mit. Er war gegen die Hofburg nicht von gleicher Ranküne er- 
füllt, aber mindestens ebenso ambitiös. 
Als ich an jenem 20. September 1897 vor Kaiser Franz Josef stand, 
hätte ich ihm auf Grund meiner Bukarester Eindrücke und Erfahrungen 
gegen die magyarische Nationalitätenpolitik manches sagen können. Aber 
einen alten Kaiser zu belehren, einen Fürsten, der so viel gesehen, so viel 
erlebt, so viel gestritten und gelitten hatte wie Kaiser Franz Josef, der 
schon auf dem Throne saß, als ich geboren wurde, ist nicht so leicht und 
einfach wie eine Replik im Parlament oder bei einer Ministerialsitzung. 
„Den möcht’ ich kennen, der den Kaiser Franz Josef auf einen Gegenstand 
hinzulenken verstünde, den er nun einmal vermeiden will“, hat ein 
Österreicher, der Finanzminister Kaizl, nach einer Audienz bei Franz 
Josef I. gesagt, in der es ihm unmöglich gewesen war, sein Anliegen vor- 
zubringen. Und vor allem: das deutsch-österreichische Bündnis war von 
Bismarck mit dem Magyaren Andrässy abgeschlossen worden, der, das 
ungarische Volk hinter sich, im Sommer 1870 Beust, den Erzherzog 
Albrecht und den Kaiser Franz Josef verhindert hatte, sich Frankreich 
gegen Preußen-Deutschland anzuschließen. Als ich im Sommer 1884, 
anläßlich meiner Versetzung von Paris nach St. Petersburg, in Varzin 
weilte, hatte Fürst Bismarck auf eine Karte gedeutet und dabei bemerkt: 
„Da sitzen zwischen Donau und Karpathen die Ungarn. Für uns ist das 
gerade so, als ob dort Deutsche säßen, denn ihr Schicksal ist mit dem 
unsrigen verknüpft, sie stehen und fallen mit uns. Das unterscheidet sie 
funditus von Slawen und Rumänen. Der ungarische Faktor ist für uns der 
wichtigste innerhalb des ganzen Balkangebiets, das bekanntlich auf der 
Wiener Landstraße beginnt.‘ Fürst Bismarck lehnte es ebenso wie später ich 
mit Entschlossenheit ab, sich durch die Magyaren in einen Krieg mit 
Rußland hineinziehen zu lassen, aber er wollte sich in innerungarische 
Verhältnisse auch mit Ratschlägen nicht einmischen. Was aber Kaiser 
Franz Josef angeht, so darf, wer gerecht sein will, nicht übersehen, wie
	        
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