Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Der Kaiser 
in Wiesbaden 
168 EITEL FRITZ UND DIE STEFANSKRONE 
bitten. Phili war von dem Elan des kaiserlichen Toastes so hingerissen, 
daß er beim Eintreten auf den Kaiser zustürzte und Seiner Majestät vor 
mir beide Hände mit den Worten küßte: „Ich bin überwältigt, ich bin 
ganz fassungslos.“ Die allzu laute Huldigung Wilhelms II. für die Magyaren 
hatte übrigens zur Folge, daß Kaiser Franz Josef schon nach achtund- 
vierzig Stunden einen Erlaß an den ungarischen Ministerpräsidenten 
Grafen Bänffy richtete, in dem er diesem eröffnete, daß er auf eigene Kosten 
zehn ungarischen Nationalhelden Denkmäler errichten werde. Der alte 
Kaiser wollte sich in Anerkennung und Liebe für die Magyaren von dem 
Deutschen Kaiser nicht übertrumpfen lassen. Die albernen Gerüchte, 
die während der nächsten zehn bis zwölf Jahre durch die französische und 
englische Presse gingen, gelegentlich auch in Ungarn selbst umliefen, daß 
einer der Söhne des Deutschen Kaisers für den ungarischen Thron bestimmt 
sei, sind im letzten Ende auf jene Rede des Kaisers Wilhem II. vom 21. Sep- 
tember 1897 zurückzuführen. Wurde ja sogar erzählt, daß der zweite 
Sohn des Deutschen Kaisers, Prinz Eitel Fritz, zum Träger der Stefans- 
krone bestimmt wäre und daß sein Name „Eitel“, nebenbei gesagt ein 
alter Hohenzollernscher Name, nur die deutsche Form für das ungarische 
Attila wäre. 
Im Oktober 1897 suchte Wilhelm II, wie meist in dieser Jahreszeit, 
Wiesbaden auf, das ihm durch seine schöne Natur, sein warmes Klima und 
sein Theater besonders sympatbisch war, obwohl das dortige verbältnis- 
mäßig kleine Schloß nicht besonders bequem zu bewohnen war. Um dieselbe 
Zeit, wo der Deutsche Kaiser Wiesbaden besuchte, weilte Kaiser Nikolaus 
von Rußland mit seiner Gemahlin zu Besuch bei seinem Schwager, dem 
Großherzog von Hessen, in Darmstadt. Nikolaus II. zog den Aufenthalt 
in der kleinen süddeutschen Residenz jedem anderen Aufenthalt vor. Ein- 
mal fühlte sich seine Gemahlin dort sehr wohl, die innig an ihrer hessischen 
Heimat hing. Dann wußte sich der Kaiser in Hessen sicher vor Attentaten, 
die in Rußland immer möglich waren, und endlich konnte er an dem be- 
scheidenen Flüßchen Darm frei und still leben als einfacher Privatmann. 
Gibt es einen besseren Beweis für die Nichtigkeit höfischen Glanzes, als 
daß der Selbstherrscher über hundert Millionen Russen selig war, wenn er 
mit seinem Schwager Ernst Ludwig von Hessen im Bummelzug, möglichst 
unerkannt, in zweiter Klasse von Darmstadt nach Frankfurt fahren und 
dort auf der Zeil Krawatten und Handschuhe einkaufen konnte? 
In diesem anspruchslosen, aber nach Lage der Dinge begreiflichen Ver- 
gnügen wollte der Zar nicht gestört werden und scheute deshalb gerade in 
Darmstadt vor Entrevuen mit anderen Fürstlichkeiten zurück. Seine Ruhe 
sollte trotzdem 1897 zweimal unterbrochen werden. Kaiser Wilhelm ruhte 
nicht, bis er einen Besuch des Zaren in Wiesbaden mehr oder weniger
	        
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