Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

„DEN REVOLVER IN DER FAUST“ 177 
kaiserliche Boykottierung des Malers Liebermann hatten viel böses Blut 
gemacht. Der Kaiser gab damals nach, aber er hat mir mein Eintreten 
für die modernen Maler und Dichter fast noch mehr nachgetragen als meine 
sonstigen Vorstellungen. Daß ich mich auch bei diesem Anlaß nur von 
Rücksichten auf das Gemeinwohl und von staatlichen Erwägungen leiten 
ließ, geht schon daraus hervor, daß ich bei aller Anerkennung für das Talent 
von Max Liebermann und aller Bewunderung für das Genie von Gerhart 
Hauptmann der modernen Richtung in Dichtung und Kunst zwar ohne 
Voreingenommenheit, aber auch ohne besondere Schwärmerei gegenüber- 
stehe. 
Von Wiesbaden begab ich mich nach Frankfurt a.M., um gemeinsam 
mit dem damaligen General a la suite, späteren Kommandierenden General 
des Gardekorps und endlich Gouverneur von Berlin, Gustav von Kessel, 
meinen Bruder Adolf zu besuchen, der dort die 21. Kavallerie-Brigade 
kommandierte. Das Gespräch drehte sich während der Abendmahlzeit um 
die Erregung, in die der Kaiser durch den Lippeschen Erbfolgestreit ver- 
setzt worden war. Der Abgeordnete Eugen Richter hatte sich, gereizt durch 
die alberne Überspannung des Ebenbürtigkeitsbegrifls, die bei diesem Anlaß 
zutage trat, bewogen gefühlt, in der „Freisinnigen Zeitung‘ die Genealogie 
der regierenden Kaiserin zu beleuchten. Er hatte dabei darauf hingewiesen, 
daß, wenn die Schaumburger den Biesterfeldern ihr Fräulein Modeste von 
Unruh, eine Gräfin von Wartensleben und sogar ein bürgerliches Fräulein 
Halbach vorrückten, das Haus Biesterfeld darauf hinweisen könne, wie 
auch die regierende Kaiserin Damen des sogenannten niederen Adels, ja, 
horribile dietu, Pastoren- und Küstertöchter unter ihren Aszendenten 
zähle. Der Kaiser, dem dieser Artikel zu Gesicht gekommen war, hatte 
geäußert, er werde, wenn der Abgeordnete Richter fortfahre, sich mit den 
Verhältnissen der kaiserlichen Familie zu befassen, zwei Flügeladjutanten 
zu ihm schicken, um ihn, „den Revolver in der Faust“, zu Entschuldigung 
und Zurücknahme zu zwingen. Kessel hielt es nicht für unmöglich, daß 
ein solcher Allerhöchster Befehl erfolge. Es käme nur darauf an, daß der 
betreffende Offizier Einsicht genug habe, den Befehl gar nicht oder nur 
zum Schein auszuführen. Mein Bruder war weniger pessimistisch und 
meinte: „Bei unserem guten Kaiser ist vom Wort bis zur Tat immer noch 
ein weiter Schritt.‘ Ich erinnerte daran, daß einer der klügsten Botschafter 
in der Zeit des Fürsten Bismarck, von Bismarck selbst als „das beste 
Pferd im Stalle‘‘ bezeichnet, Graf Paul Hatzfeldt, mir in den achtziger 
Jahren einmal als Regel eingeschärft hätte: „Bleiben Sie bei der Aus- 
führung Bismarckscher Aufträge immer einen Vierteltakt zurück. Hinter- 
her ist der Fürst oft froh, wenn man seine Weisungen nicht zu scharf aus- 
geführt hat.‘‘ Mein Bruder meinte dazu: „Nun, bei unserem jetzigen Kaiser 
12 Bitlow I 
Der Lippesche 
Erbfolgo-Streit
	        
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