SEINE CHIFFRIERTEN TELEGRAMME 187
Holstein dem Wachhund, der wohl das Haus gegen Diebe und Einbrecher
schützt, bei dem man aber nie sicher ist, ob er nicht auch seinen Herrn ge-
legentlich in die Beine beißen wird. Holstein hatte schon vom Fürsten Bis-
marck die Ermächtigung erhalten, durch sogenannte „Privattelegramme“,
die chiffriert abgingen, aber nicht registriert wurden, direkt mit den Missions-
chefs zu verkehren. Solche Holsteinschen Telegramme trugen an der Spitze
den Vermerk: Privat. Sie gaben Holstein natürlich die Möglichkeit starker
Einwirkung auf den Gang der Politik, zumal sie nicht in den Geschäftsgang
gegeben und auch nicht immer dem Reichskanzler und dem Staatssekretär
vorgelegt wurden. Herr von Holstein stand mit Graf Paul Hatzfeldt, Fürst
Philipp Eulenburg und Fürst Radolin in ständigem Verkehr durch Privat-
telegramme; mit Monts, Eckardstein und anderen Dii minorum gentium
nur gelegentlich. Um gerecht zu sein, muß ich hinzufügen, daß Holstein
durch die Eigenart seines Charakters und seiner Stellung während seiner
dreißigjährigen Tätigkeit im Auswärtigen Amt gewiß vielen und vielem
geschadet hat. Aber er hat nicht entfernt so viel Unheil angerichtet wie
etwa Matthias Erzberger durch seine indiskrete Behandlung des Czernin-
schen Berichts, seine ungeschickte und gewissenlose Führung der Waffen-
stillstandsverhandlungen, seine Sabotierung der Mission des Grafen
Brockdorff-Rantzau in Versailles, sein ganzes trotz einer gewissen Gut-
mütigkeit aus Selbstsucht und Unwissenheit, Profitgier und plumpem
Demagogentum gemischtes politisches Verhalten in den Jahren seiner Macht.
Ernstere Sorgen als die Quertreibereien von Holstein, an die ich seit
Jabren gewöhnt war, bereiteten mir die vielfach überspannten Erwartungen
und Ansprüche unserer national gesinnten und insbesondere unserer
kolonialen Kreise, seitdem mit der Entsendung unserer Flotte nach Öst-
asien das Zeichen gegeben war, daß die Regierung es als ihre Pflicht be-
trachte, unsere großen und immer größer werdenden überseeischen Inter-
essen zu schützen. Die Götter, die unserem Volk so viele tüchtige, schöne
und große Eigenschaften in die Wiege legten, haben ihm die politische
Begabung versagt. Als ich, aus einer Sitzung des Reichstags kommend,
einmal darüber dem Ministerialdirektor Althoff klagte, erwiderte mir der
bedeutende Mann mit dem ihm eigenen westfälischen Humor: „Ja, was
verlangen Sie denn eigentlich? Wir Deutschen sind das gelehrteste und
dabei das kriegstüchtigste Volk der Welt. In allen Wissenschaften und
Künsten haben wir Hervorragendes geleistet, die größten Philosophen, die
größten Dichter und Musiker sind Deutsche. Neuerdings stehen wir in den
Naturwissenschaften und auf fast allen Gebieten der Technik an erster
Stelle und haben es zu einem ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung
gebracht. Wie können Sie sich da wundern, daß wir politisch Esel sind ?
Irgendwo muß es hapern.“ Die Gabe, die uns in der Politik vor allem versagt