Übersee-Pläne
von Tirpitz
188 GEHEIM ÜBER TIRTITZ
ist, scheint mir das Maß zu sein. Wir sind zu geneigt, in die Extreme zu
gehen. Dadurch bekommt unsere Geschichte etwas Sprunghaftes. Is fehlt
ihr die Tradition und die Kontinuität, die Entwicklung und Geschichte
anderer großer Völker bestimmen. Selbst ein so kluger und vielgewanderter
Mann wie der Admiral Tirpitz bewegte sich, bevor ihn die Praxis auf die
notwendigen Beschränkungen hingewiesen hatte, die gerade Deutschland
bei seiner zentralen Lage sich in der überseeischen Politik auferlegen mußte,
in zum Teil phantastischen Plänen.
Ich schalte eine Aufzeichnung ein, die mir im März 1898 Legationsrat
Klehmet aus dem Auswärtigen Amt über eine Unterredung unterbreitete,
dieer mit Admiral Tirpitz über dessen überseeische Projekte gehabt hatte:
Berlin, den 16. März 1898
Ganz geheim.
Im Verlaufe meiner heutigen Unterredung mit Admiral Tirpitz wegen
des Verkaufs von Schiffen kam derselbe dann auf die deutsche überseeische
Politik überhaupt zu sprechen. Er begann mit der Bemerkung, der spanisch-
amerikanische Konflikt komme ihm politisch zu früh, er würde es für günsti-
ger angesehen haben, wenn der Ausbruch erst erfolgt wäre, nachdem wir
infolge der Flottenvorlage die Möglichkeit hätten, mitentscheidend auf-
zutreten. Auch so müßten wir aber nach seiner Auffassung mehrere Schiffe
binschicken, um zu zeigen, daß wir dort auch etwas zu sagen hätten.
Die Folge des spanisch-amerikanischen Konfliktes müsse unabwendbar
für Spanien der Verlust Kubas zugunsten der Vereinigten Staaten sein. Er
besitze aus jüngster Zeit sehr interessante Nachrichten über die außer-
ordentliche Tätigkeit des amerikanischen Chauvinismus in dieser Richtung.
Damit aber sei für uns der letzte Moment gekommen, um Curagao und
St. Thomas durch Kauf an uns zu bringen. Nordamerika könne dagegen
nichts einwenden, weil es mit Kuba vorläufig abgefunden sei und hinreichend
damit zu tun habe. England müsse unsere Festsetzung dort hochwill-
kommen sein. Es könne sogar nach seiner Auffassung unserer Diplomatie
nicht schwerfallen, ein derartiges deutsches Vorgehen als einen England
geleisteten großen Dienst zu verwerten. Unterließen wir aber, diese Kon-
etellation zu benutzen, so würde uns, insbesondere nach der seiner Mei-
nung nach sicheren einstigen Vollendung eines Panama- oder Nicaragua-
Kanals, Südamerika als wirtschaftliches Absatzgebiet unrettbar verloren-
gehen. Den nordamerikanischen Markt würden wir ohnedies, wie er glaube,
nicht lange mebr behaupten können. In Ostasien habe er neben dem Fest-
halten und kommerziellen Ausbau von Kiautschou zwei Wünsche. Einmal
müßten wir ein Settlement am Yangtse erwerben, am besten in Woosung,