Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Thronrede 
190 DER INNERE FEIND 
mit englischen Augen. Durch und durch Rationalistin im Sinne von 
Herbert Spencer und John Stuart Mill, glaubte sie, daß es Zweck wie Auf- 
gabe der Menschheit sei, sich immer mehr zu vervollkommnen. Solche fort- 
schreitende Vervollkommnung erfolge am besten im Sinne englischer 
Ideen und Sitten, von den politischen Einrichtungen Englands bis zur eng- 
lischen Windsor-Soap. Deutschland könne sich England und dessen hohen 
Zielen am besten nützlich machen und sich gleichzeitig selbst veredeln, 
wenn es sich im Kurs der englischen Politik halte wie ein kleines Boot, das 
im Kielwasser einer großen Fregatte fährt. Vor allem müsse Preußen- 
Deutschland stets freudig bereit sein, für englische Interessen, die sich 
nun einmal mit dem Fortschritte der Menschheit und den höchsten Idealen 
deckten, dem barbarischen russischen Bären entgegenzutreten. 
Seit wir in die kleine, aber von Hans Stobwasser geschmackvoll ein- 
gerichtete Villa des Staatssekretärs eingezogen waren, die vor mir Graf 
Paul Hatzfeldt, Graf Herbert Bismarck und Freiherr von Marschall be- 
wohnt hatten und die nach mir leider Gottlieb von Jagow, Richard von 
Kühlmann und andere Unzulängliche beziehen sollten, erschien die 
Kaiserin Friedrich fast jeden Morgen bei meiner Frau. Die Kaiserin stand 
wie ihr ältester Sohn früh auf. Sie erschien schon um 8 Uhr. Meine Frau 
stand damals spät auf, sie lag um diese Zeit noch in den Federn. Die Kaiserin 
setzte sich an ihr Bett, um ein Stündchen mit ihr zu verplaudern. Nie über 
banale Dinge, noch weniger über Klatsch, sondern über Fragen und An- 
gelegenheiten, die Menschen von Geist zu beschäftigen würdig sind. Wenn 
sie fortging, pflegte sie zu sagen: „I hope so much, Bernhard will not be 
angry, that I come so often and stay so long.“ Auch darin glich die Mutter 
dem Sohn, daß beide bei allem inneren Selbstbewußtsein im freundschaft- 
lichen Verkehr die Natürlichkeit selbst waren. Wenn Kaiser Wilhelm II. 
sich nur zu oft als Autokrat gab, was er weder verfassungsmäßig noch tat- 
sächlich war, so war dies nur nach außen. Wenn seine Mutter daran dachte, 
daß sie Princess Royal of Great Britain and Ireland war, so umgürtete sie 
sich mit dem ganzen Stolz ihres Englands. In der Intimität waren beide 
einfach und anspruchslos. Dagegen habe ich manche deutsche Beamte, 
Professoren und, last not least, Abgeordnete gekannt, die weit steifer, viel 
prätentiöser waren und mehr „posierten‘ als Wilhelm II. und seine Mutter. 
Am 30. November 1897 fand die Eröffnung des Reichstags statt. Die 
Rede, die der Kaiser einige Tage vorher bei der Vereidigung der Rekruten 
des Gardekorps gehalten hatte, war kein glücklicher Auftakt für die bevor- 
stehende, entscheidende Session gewesen. Der Kaiser hatte die Rekruten 
ermahnt, ihm zu gehorchen, „‚sei es gegen einen Feind nach außen oder nach 
innen“. Er hatte vom lieben Gott gesprochen, „der uns nie verläßt‘, hatte 
unser Heer siegreich und unüberwindlich genannt und sich zu der Äußerung
	        
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