Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER PLATZ AN DER SONNE 193 
Berlin an der Spitze ihrer Nummer ein Bild gebracht, das die Regierung 
als eine Kinderfrau darstellte, die drei älteren Damen ein Baby präsen- 
tiert. Die Damen waren das Zentrum, die Konservativen und die Liberalen, 
das Baby war ich. Die Regierung meint zu den Parteien: „Da, schaut her, 
das ist das jüngste Ministerchen, ein prächtiger Bub’, dieser Bülow, nicht 
wahr?‘ Die Parteien antworten: „Na, man muß abwarten, wie er sich ent- 
wickeln wird; das wird man aber erst erkennen, wenn der Kleine zureden 
anfängt.‘ Diese hübsche Zeichnung eröffnete die Sammlung der über mich 
erschienenen Karikaturen, die schließlich auf dreißig stattliche Bände an- 
schwellen sollte. Ich bin als Wickelkind abgebildet und so, wie mich der 
Stift des Karikaturisten bis zuletzt darstellen sollte: mit einem Grübchen 
im Kinn und dem Scheitel in der Mitte. Das Grübchen ist geblieben, der 
Scheitel verschwand mit den jugendlichen Locken. 
Der Berliner Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“, August Stein, 
der mir trotz vieler politischer Divergenzen später persönlich ein guter 
Freund werden sollte, veröffentlichte am Tage vor meinem Debüt im 
Reichstag einen Begrüßungsartikel, in dem es nicht ohne Malice hieß: 
„Herr von Bülow, der neue Leiter des Auswärtigen Amtes, tritt als voll- 
ständiger parlamentarischer Neuling vor den Reichstag. Es muß sich zeigen, 
ob ein ungewöhnlich geistvoller Causeur auch ein parlamentarischer 
Redner ist. Ludwig Bamberger war wohl der letzte, der in diesem Stil 
zu sprechen verstand. Inzwischen hat sich im Reichstag manches, auch der 
Stilder Debatten geändert. Sollte Herr von Bülow im Reichstag die Sprache 
sprechen, die man ihm im Salon und in der Privatunterhaltung nachrühmt, 
dann dürfte er im gegenwärtigen Reichstag mehr auf Verwunderung als 
auf Verständnis stoßen.‘‘ Ex post meine ich, es war vielleicht gut, daß ich 
bei der ersten öffentlichen Rede, die ich in meinem Leben gehalten habe, 
ganz unvorbereitet sprach. Ich habe später viel, vielleicht zu viel geredet, 
aber immer gefunden, daß ich aus dem Stegreif am besten sprach. Es gibt 
ja auch Maler, denen Skizzen besser gelingen als sorgsam ausgeführte 
Gemälde. Ich schloß meine Rede vom 6. Dezember 1897 mit den Worten: 
„Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren 
Platz an der Sonne“, ohne zu ahnen, daß ich damit meinen Einzug in den 
Büchmann halten würde, den ich damals noch gar nicht kannte. Als in 
einem Moment meiner Rede im Hause Heiterkeit entstand, kam mir der 
Gedanke, ob vielleicht die Art meines Sprechens, mein Vortrag oder meine 
Haltung, was ja bei einem parlamentarischen Homo novus nicht allzu 
verwunderlich gewesen wäre, die Lachlust der Volksvertretung reize. Wäh- 
rend ich weitersprach, überlegte ich mir — denn man kann sehr wohl reden 
und dabei an andre Dinge denken —, was ich tun würde, wenn die Heiterkeit 
fortdauerte oder gar zunähme. Ich erinnerte mich, daß in einer ähnlichen 
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