DER EVANGELIST 195
kann als ich, daß sie sich befestige und angenehm gestalte. Einem alten
Freund werden Sie es nicht als fade Schmeichelei auslegen, wenn ich Ihnen
ganz offen sage, daß Sie brillant abgeschnitten haben. Alles war,so gut es sein
konnte: Inhalt, Diktion, Tonart und Redebilder. Ich war nur gekommen,
um Sie zu hören, und bin vollkommen belohnt worden. Es wird Sie zu
hören interessieren, daß mehrere Abgeordnete in meiner Nachbarschaft,
die Sie gar nicht kennen, laut ihren Beifall äußerten und ausriefen: „Das
war doch wieder einmal ein Klang aus alten, forschen Zeiten. Bülow erinnert
inseiner Rede und seinen frappanten Bildern sehr an den Fürsten Bismarck.“
Ich fahre heute abend nach Hause, komme vor Weihnachten wohl noch
ein- bis zweimal zu Sitzungen und hoffe, Ihnen nach Weihnachten einmal
irgendwo die Hand drücken zu können.
Ihren freundlichen Brief aus Rom habe ich mit vielem Dank erhalten,
seine warmen Worte haben mich sehr gerührt.
In alter Treue Ihr
Herbert Bismarck
Mein alter Chef und Gönner aus Petersburg und Wien, Prinz Hein-
rich VII. Reuß, schrieb meiner Frau:
„TIrebschen, den 11. Dezember 1897
Carissima,
ich muß Ihnen aus meiner stillen Provinzecke ein aufrichtiges Bravo
zurufen! Bülow hat sich vortrefflich eingeführt, das ist eine große Sache;
er wird verstehen, sich auf dem Platz zu behaupten, den er sich erobert hat.
Der ganze Ton seiner Rede mutete mich erfrischend an, es erinnerte mich
an gute alte Zeiten! Nun wünsche ich ihm nur ein wenig Glück, was immer
zu allen Dingen nützlich ist, und dann wird es gehen — woran ich übrigens
nie gezweifelt habe.“
Natürlich fehlte nicht ein begeisterter Glückwunsch des „allezeit
getreuen Monts“, der unter dem neckischen Vorwand, daß er mir keine
direkten Komplimente machen wolle, Nachstehendes an meinen Personal-
dezernenten, den Prinzen Lichnowsky, schrieb, von dem er wußte, daß er
mir alles vorlegte: „Zuerst wollen wir uns gegenseitig zu Bernhard Bülow
gratulieren. Er macht seine Sache vorzüglich. Das echt Menschliche seines
Auftretens gewinnt ihm außerdem groß und klein. Er ist heute der popu-
lärste Mann in Deutschland. Möchten nur alle so neidlos wie Sie und ich
zu seiner Größe aufschauen, inklusive der Evangelist! Ich wachse in meinen
eigenen Augen, wenn ich denke, daß mich ein solcher Mann wie Bernhard
Bülow mit seiner Freundschaft bechrt.‘“ Mit dem Evangelisten meinte
Monts den Kaiser unter Anspielung auf die Kieler Rede des Prinzen
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