Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

BENNIGSEN, MIQUEL 199 
ihm wie Bunsen und Prokesch als Gegner gegenübertraten, noch dazu als 
minderwertige Gegner, lustig gemacht hat, besagt nicht viel. Einmal ist 
es die Frage, ob das gelegentliche Zurschautragen einer gewissen Gering- 
schätzung für Bildung und Geist die glücklichste Seite an Bismarck war, 
den deshalb Thiers „un barbare de genie‘‘ nannte. Dann aber widerlegte 
sich unser größter Mann selbst, denn er war ein sehr hervorragender 
Schriftsteller, Redner, Journalist, Briefschreiber und Philosoph. Kein 
Geringerer als Theodor Mommsen sagte mir bei einem Besuch, den er mir 
1896 in Rom abstattete, er halte Bismarck nach Goethe, Lessing und 
Schopenhauer für den größten deutschen Prosaisten. 
Ich bin während meiner Amtszeit, also von 1897 bis 1909, in deutschen 
parlamentarischen Körperschaften nur wenigen Rednern begegnet, die sich 
mit den Koryphäen unserer westlichen und südlichen Nachbarn vergleichen 
konnten. Der deutsche Redner verliert sich zu leicht in Details, wo doch 
gerade für die Wirkung einer Rede das Wort von Voltaire zutrifft, que le 
detail est une vermine qui ronge les grandes choses. Der Deutsche erwartet 
alles von der Sachlichkeit, die nur im Bunde mit der Rhetorik überzeugt 
und bezwingt. Wie anders wirkte während des Weltkrieges auf das Ausland 
die durchaus rhetorische französische Propaganda als die rein sachliche 
deutsche! Wie anders zündeten Viviani und Briand als die gelehrtesten 
deutschen Professoren und die sachkundigsten deutschen Abgeordneten! 
Von deutschen Rednern hat mir den stärksten Eindruck Bennigsen 
hinterlassen, obwohl er, als ich 1897 in das parlamentarische Leben eintrat, 
sich nur noch selten an den Debatten beteiligte und kaum zwei Jahre nach 
meiner Ernennung zum Reichskanzler starb. Bennigsen übte deshalb eine 
tiefe Wirkung aus, weil jeder fühlte, daß hinter seinen Worten ein arbeits- 
reiches und gedankenvolles Leben lag, daß er das, was er sagte, nicht vier- 
undzwanzig Stunden vorher ad hoc präpariert hatte, sondern daß seine 
Auslassungen das Ergebnis jahrelangen Beobachtens, Lernens und vor allem 
Denkens waren, daß er die gehaltlose Phrase immer und in jeder For ver- 
mied. Sein Jünger und späterer Nachfolger in der Führung der alten 
Nationalliberalen, der heutigen Deutschen Volkspartei, Gustav Strese- 
mann, ist, wenn nicht der einzige, so jedenfalls der weitaus beste Redner, 
den das deutsche Parlament seit dem Umsturz von 1918 gesehen hat. 
Ein großer Redner im europäischen Sinne war Miquel. Unvergeßlich 
wird mir eine Szene im Reichstag bleiben, der ich noch als Staatssekretär 
beiwohnte. Miquel war damals aus mancherlei Gründen im Reichstag, dem er 
von 1867 bis 1877 und von 1887 bis 1890 als Abgeordneter angehört hatte, 
wenig beliebt. Er war seit Jahr und Tag nicht mehr in dem Monumentalbau 
am Königsplatz erschienen. Nun hatte der Führer des Zentrums, Ernst 
Lieber, als Nassauer dem ehemaligen Bürgermeister von Frankfurt a.M.
	        
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