Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Prinz 
Heinrich 
antwortet 
204 DER KAISER UND SEIN BRUDER 
größten deutschen Handelsstadt, die, schon bevor es ein Deutsches Reich 
gab, deutscher Arbeitskraft und Unternehmungslust in allen Weltteilen und 
gerade auch an den Gestaden des Stillen Ozeans die Wege gewiesen hatte. 
Das Diner in Kiel fand im Schlosse statt. Erfüllt von den Eindrücken 
dieses Tages, gehoben durch den Erfolg der diplomatischen Behandlung 
unseres Unternehmens, für die er mir in der wärmsten Weise dankte, 
brachte der Kaiser einen Trinkspruch aus, in dem er Schwungvolles und 
wirklich Schönes, auch mit der ihm eigenen hervorragenden Assimilations- 
fähigkeit manches Zutreffende sagte, das ich während der Fahrt nach Kiel 
ihm vorzutragen Gelegenheit gefunden hatte, in dem sich aber einige sehr 
unglückliche Äußerungen befanden. Die Wendung von dem deutschen 
Michel, der seinen mit dem Reichsadler geschmückten Schild fest auf den 
Boden gestellt hat, mochte hingehen, wiewohl sie von dem Kaiser redne- 
risch und mit dem Zeichenstift schon wiederholt zum Ausdruck gebracht 
worden war. Bedenklicher war die Erklärung, daß Prinz Heinrich, wenn 
irgend jemand es unternehmen sollte, uns zu kränken, mit „gepanzerter 
Faust‘ dreinfahren möge. Das Wort von der „gepanzerten Faust‘ sollte 
namentlich in der englischen Übersetzung als „mailed fist“ bei allen An- 
griffen der uns feindlichen Presse viele Jahre immer wiederkehren und in 
den Augen der Welt aus dem im Grunde gutmütigen und wohlwollenden, 
jedenfalls unkriegerischen Wilhelm II. einen neuen Dschingis-Chan machen. 
An diese bedauerliche Drohung mit der gepanzerten Faust knüpfte der 
Kaiser die Aufforderung an seinen Bruder, sich den Lorbeer um die junge 
Stirn zu flechten, den niemand im ganzen Deutschen Reich ihm neiden 
würde. Als letztere Worte fielen, flüsterte mir Lucanus, der neben mir saß, 
leise zu: „Damit will er den Bruder beruhigen, damit dieser nicht fürchtet, 
durch einen etwaigen Erfolg die kaiserliche Eifersucht zu erregen.“ 
Enthielt die kaiserliche Anrede an den Bruder nur einige bedauerliche 
Stellen, so war die Antwort des Prinzen Heinrich von Anfang bis zu Ende 
eine fürchterliche Entgleisung. Prinz Heinrich hatte von seinem herrlichen 
Vater nicht allein die schöne äußere Erscheinung geerbt. Er war wie dieser 
eine durch und durch noble Natur. Er hatte ein goldenes Herz. Mit unge- 
wöhnlicher Körperkraft ausgestattet, war er jeder Anstrengung gewachsen. 
In einfachen Verhältnissen geboren, würde er ein trefflicher Matrose, 
Steuermann, Schiffskapitän geworden sein und in jedem Sturm seinen 
Mann gestanden haben. Es fehlte dem Prinzen Heinrich auch keineswegs an 
dem Mensch d. Aber sein argloser und schlichter Sinn rechnete 
nicht i immer mit der Schlechtigkeit der Menschen und der Welt, und im 
Irrgarten der Politik fand er sich schwer zurecht. In seiner boshaften Art 
meinte Hinzpeter einmal zu mir: „An dem Prinzen Heinrich können Sie 
sehen, wie der Kaiser geworden wäre, wenn ich nicht seine Erziehung in die
	        
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