Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Prinz 
Heinrich bei 
der Queen 
206 DAS GESICHT DES KAISERS WIRD LÄNGER 
der dem Kaiser bei den Manövern allen Unsinn durchläßt, wenn er nur 
dafür in großen Fragen und für den Ernstfall freie Hand erhält.“ Die 
Kritik, die ein großer Teil der deutschen Presse an den Kieler Trinksprüchen 
übte, bestätigte nur zu sehr alles, was ich Lucanus gegenüber ausgeführt 
hatte. Selbst die „Kreuzzeitung‘‘ wies darauf hin, daß nur ein Evangelium 
gepredigt werden dürfe, das sei jenes, von dem es in acht Tagen heißen 
würde: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Viel schärfer lautete das 
Urteil der deutschen liberalen wie der klerikalen und vollends der auslän- 
dischen Presse. Die ‚„‚Times‘‘ meinte, es wäre allenfalls zu verstehen, daß 
Prinz Heinrich das Evangelium seines Bruders denjenigen verkündigen 
wolle, die danach verlangten. Aber es auch denjenigen zu predigen, die es 
gar nicht hören wollten, das ginge wirklich zu weit. 
Etwa acht Tage nach jenen überschwenglichen Kieler Trinksprüchen 
erhielt der Kaiser in meinem Beisein einen Brief von seinem Bruder, der 
auf seiner Fahrt von Kiel nach Ostasien einen kurzen Aufenthalt in Eng- 
land genommen hatte, um seine dortigen Verwandten, insbesondere seine 
Großmutter, die Königin Victoria, zu besuchen. Der Kaiser öffnete erwar- 
tungsvoll den Brief seines Bruders, begierig, zu hören, was man am eng- 
lischen Hof über das Kieler Fest gesagt habe. Sein Gesicht wurde immer 
länger, während er das brüderliche Schreiben las; andererseits wollte er die 
einmal vor mir laut begonnene Lektüre nicht unterbrechen, damit ich nicht 
am Ende noch Schlimmeres vermutete, als der Prinz tatsächlich geschrieben 
hatte. Freimütig, wie es seine Art war, meldete Prinz Heinrich seinem Bru- 
der, daß die Reden, die sie beide bei dem schönen Kieler Fest gehalten 
hätten, am englischen Hofe nicht so bewundert worden wären, wie sie ge- 
hofft hätten. „Großmama“ habe es mit offenbarer Absicht vermieden, 
die Kieler Ansprachen überhaupt zu berühren. „Uncle Bertie‘‘ habe bos- 
hafte Bemerkungen über die Reden gemacht, die anderen Oheime und 
Tanten fänden sie bedauerlich. Prinz Heinrich war durch diese verwandt- 
schaftliche Kritik, wie aus seinem Brief hervorging, stark impressioniert. 
Seine Mutter, die Kaiserin Friedrich, hatte über seine Rede an meine Frau 
geschrieben: „Henry is such a dear boy, but his speech was very foolish.“ 
Es lag in der biederen Art des Prinzen Heinrich, daß er, darin anders als 
die meisten Fürstlichkeiten, an allen seinen Verwandten mit rührender 
Treue hing. 
Ich muß hinzufügen, daß die Briefe, die Prinz Heinrich während seiner 
Fahrt nach dem fernen Osten an den Kaiser richtete und die dieser mir 
regelmäßig mitteilte, sehr verständig waren. Am 11. Juli 1898 schrieb er 
seinem Bruder hocherfreut, daß die Schantung-Kohle sich glänzend be- 
währe: „Einige Tonnen chinesischer Kohle, die ich aus dem oft besproche- 
nen Kohlengebiet probeweise erhielt und mit denen ich Parallelversuche
	        
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