208 BRIEFAN DIE GROSSMAMA
die undankbare und dabei in schnöder Form erfolgte Beseitigung des gro-
Ben Kanzlers durch Wilhelm II. ehrlich indigniert gewesen wäre. Ähnlich
empfand ein anderer bedeutender englischer Staatsmann, der Earl of Rose-
bery, der mit Herbert Bismarck persönlich befreundet war. Nach dem
Sturze des Fürsten schenkte Lord Rosebery dessen ältestem Sohne den
Holzschnitt jenes vom Londoner „Punch‘ veröffentlichten, ergreifenden
Bildes, das die Unterschrift trug: „„Dropping the pilot.“ Es stellt den Für-
sten Bismarck dar, wie er in Lotsentracht, langsam, mit schwerem Schritt
und tiefernstem Gesicht das Fallreep des deutschen Schiffes herabsteigt,
während ihm Wilhelm II., die Krone auf dem Kopf, von der Reling höh-
nisch nachsieht. Wilhelm II. wußte, daß Lord Salisbury ihn nicht mochte,
Gereizt durch das, was ihm Prinz Heinrich über den schlechten Eindruck
der Kieler Vorgänge in England gemeldet hatte, schrieb der Kaiser, ohne
dem Reichskanzler oder mir etwas davon zu sagen, einen langen Brief an
seine Großmutter, die Königin Victoria, in dem er, übrigens ohne Bezug-
nahme auf die Kieler Rede und ihre ungünstige Beurteilung in England,
darüber Klage führte, daß Lord Salisbury ihn, wo er könne, ärgere und
konterkariere. Der Kaiser zeigte mir später die Antwort seiner Großmutter.
Sie hatte sich darauf beschränkt, ihrem Enkel das Schreiben zu übersenden,
das Lord Salisbury an sie gerichtet hatte, nachdem ihm der Brief des
Kaisers an seine Großmutter zugegangen war. Der Brief des englischen
Premiers ist mir in der Erinnerung geblieben, weil er bezeichnend ist für
den Ernst der englischen Politik und für das Pflichtgefühl wie der Königin
Vietoria so britischer Staatsmänner. Lord Salisbury dankte der Königin
in sehr respektvollem Ton, daß sie die Gnade gehabt hätte, den Brief des
Kaisers zu seiner Kenntnis zu bringen. Er fügte hinzu: die Königin werde
mit ihm, Saliebury, der Meinung sein, daß er nicht deutscher, sondern eng-
lischer Minister wäre und daß er auch bei dem lebhaften Wunsch, gute Be-
ziehungen zwischen England und Deutschland zu unterhalten, doch ledig-
lich britische Interessen zu schützen habe. Darüber scheine sich der
Deutsche Kaiser nicht ganz im klaren zu sein; er kenne offenbar die eng-
lischen Traditionen und die englische Verfassung nicht. Die Königin würde
gewiß die erste sein, ihren Premierminister zu tadeln, wenn er eine andere
als eine rein britische Politik mache. Das habe er bisher getan und werde
es im Vertrauen auf Billigung und Unterstützung von seiten der Krone
auch fernerhin tun. Der Kaiser nahm diese Antwort übrigens gar nicht
tragisch. Er meinte nur: „Nun wissen wir wenigstens, woran wir sind.“
Alle abfälligen Auslassungen der deutschen wie der ausländischen Presse
über die Kieler Trinksprüche habe ich selbstverständlich Seiner Majestät
vorgelesen oder vorgelegt.
Am Tage nach dem Kieler Abschiedsfest stattete der Kaiser mit seinem