Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

212 HELLMUTH MOLTKES BITTERKEIT 
erzählte mir gelegentlich, die Kaiserin Friedrich habe ihm einige Monate 
nach der Thronbesteigung ihres Sohnes gesagt: „Wenn Sie jemals an- 
nehmen sollten, daß für meinen Sohn andere Motive maßgebend sein 
könnten als rein persönliche Zwecke und vor allem als persönliche Eigen- 
liebe, so werden Sie sich im Irrtum befinden.“ Mit betrübtem Gesicht fügte 
der alte Feldmarschall hinzu: „Leider hatte sie recht.“ 
Als Beweis, wie menschlich, gütig und herzlich andererseits derselbe 
Fürst sein konnte, möge ein kleiner Zug dienen. Unser Gesandter in Kopen- 
hagen, Herr von Kiderlen, hatte berichtet, der damals schon fast achtzig- 
jährige König Christian IX. von Dänemark habe ihm bei einem Hofdiner 
nach „einigen schmeichelhaften Äußerungen“ über mich gesagt: „Ich muß 
den Staatssekretär von Bülow als Knaben bei seinem Vater gesehen haben; 
das war ein bedeutender Mann und Charakter, leider hat man in Dänemark 
seinerzeit gar nicht auf ihn gehört, und als man immer nichts hören wollte, 
ging er schließlich fort, zunächst nach Mecklenburg-Strelitz; da, scheint 
es, ging es mit dem Großherzog nicht, und dann kam er nach Berlin; ich 
erinnere mich noch, wie ich den alten Kaiser Wilhelm kurz nach dem Tode 
des Herrn von Bülow sah und mir der Kaiser vorklagte, daß er einen ganz 
unersetzlichen Verlust erlitten habe, sowohl in dem Minister als in der 
Persönlichkeit.“ Als dieser Bericht Seiner Majestät vorgelegt wurde, 
schrieb Wilhelm II. ad marginem: „Das Urteil ist vollkommen zutreffend 
und sehr herzlich und wohltuend für den Sohn des trefflichen Mannes.“ 
Die Frage, ob Wilhelm II. Herz habe, ist oft erörtert worden, auch in der 
Zeit seines Glücks und seiner Macht, und sie wurde sehr verschieden beant- 
wortet. Ich entsinne mich eines merkwürdigen Gesprächs aus meiner Reichs- 
kanzlerzeit über diesen Punkt. An einem Abend, wo meine Frau ein Kon- 
zert oder die Oper besuchte, lud ich mir den damaligen Minister des Innern, 
Theobald von Bethmann Hollweg, und den General Hellmuth von Moltke 
zum Abendessen ein. Wir waren ä trois. Die Rede kam, wie häufig, auf den 
Kaiser, und es wurde die Fage aufgeworfen, ob er Herz habe. Ich bejahte 
sie mit Überzeugung und Entschiedenheit, wie ich dies noch heute tun 
würde. General von Moltke widersprach mir ebenso bestimmt: Wilhelm II. 
sei viel zu selbstsüchtig, um Herz zu haben; jedenfalls zu wetterwendisch, 
als daß auf sein Herz irgendwelcher Verlaß wäre. An dieser Ansicht hat Hell- 
muth von Moltke bis zu seinem Ende festgehalten. Bei einem Besuch, den 
er mir wenige Tage vor seinem plötzlichen Tode machte, sprach er mit 
Bitterkeit davon, daß, sobald Fortuna sich von ihm abgewandt habe, auch 
der Kaiser ihm den Rücken gekehrt hätte. Der Kaiser schiebe alle Schuld 
für den unglücklichen Anfang des Krieges auf ihn, kümmere sich übrigens 
kaum noch um ihn und habe ihm zu seinem letzten Geburtstag statt des 
gewohnten, fast überschwenglich herzlichen Glückwunsches nur einige
	        
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