Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE FLÖTE IM EUROPÄISCHEN KONZERT 215 
und gewolltem Nachdruck umgrenzte ich schon 1897 unsere Orientpolitik*. 
Wir würden keine Ziele verfolgen, auch nicht etwa an uns zu richtenden 
Anträgen Folge geben, die nicht in den Rahmen „unserer vorsichtigen und 
reservierten Orientpolitik“ paßten. Ich bediente mich hierbei eines Bildes 
aus der mir, der ich leider ganz unmusikalisch bin, sonst fernliegenden 
musikalischen Welt. Es sei nicht nötig, daß in einem Konzert und auch im 
europäischen Konzert jeder dasselbe Instrument spiele. Der eine schlüge 
die Trommel, der andere stoße in die Trompete, ein dritter hielte die große 
Pauke in der Hand. Wir bliesen in Konstantinopel nur die Flöte diploma- 
tischer Einwirkung und Überredung. Pressionen machten wir nicht mit; 
wenn Streit entstünde, träten wir ruhig beiseite, wenn Differenzen laut 
würden, legten wir die Flöte still auf den Tisch und verließen den Konzert- 
saal. Das entspräche unserer Uninteressiertheit in orientalischen Dingen. 
An dieser Politik der Vorsicht und Zurückhaltung in allen Balkan-, Orient- 
und Mittelmeerfragen habe ich bis zu meinem Rücktritt festgehalten und es 
namentlich sorgsam vermieden, mir auf diesem glatten, an Fallstricken, 
Schlingen und Löchern reichen Terrain von Österreich-Ungarn das Leitseil 
umwerfen zu lassen. Das gilt ganz besonders auch von der bosnischen Krisis 
von 1908/09, wo ich dafür sorgte, daß Deutschland die Führung in der Hand 
behielt, weder Österreich preisgab noch sich von Österreich in einen Krieg 
mit Rußland verwickeln ließ. 
Als ich mich im Februar 1898 über Absichten und Schranken unserer 
auswärtigen Politik ausgesprochen hatte, schrieb mir Großherzog Fried- 
rich von Baden am 16. Februar 1898: „Wertgeschätzter Staatsminister von 
Bülow! Es liegt mir am Herzen, Ihnen auszusprechen, mit welch freudiger 
Teilnahme ich Ihre öffentliche Wirksamkeit in der Zeit verfolgte, da Sie 
im Reichstag die Politik der Reichsregierung darlegten. Recht von Herzen 
beglückwünsche ich Sie zu den Erfolgen, die Sie dadurch in weiten Kreisen 
erlangten. Sie haben nicht nur großes Vertrauen erworben, sondern auch 
der Nation geholfen, Vertrauen zu sich selbst wiederzugewinnen. Das ist 
ein erfreulicher Erfolg, aus dem noch manche weitere Frucht reifen kann. 
Schon nach den ersten Eindrücken aus der Presse, die Ihnen so viele Hul- 
digungen brachte, wollte ich Ihnen meinen Glückwunsch sagen. Ich wartete 
aber, um auch die ausländische Presse zu vernehmen, und da fand ich bis 
in die letzten Tage so viele Besprechungen Ihrer politischen Reden, daß ich 
dieselben verfolgte und mich weiter orientieren wollte. Überall fand ich 
nur lebhafte Anerkennung und steigende Zunahme eines erneuten Ver- 
trauens in die Reichspolitik. Nun sind meine Glückwünsche noch wärmer 
und inniger, denn das ist ein Erfolg, mit dem Sie dem Vaterlande einen sehr 
  
* Fürst von Bülows Reden, Große Ausgabe I, S. 24ff.; Kleine Ausgabe I, S. 50. 
Brief des 
Großherzogs 
Friedrich
	        
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