Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

„KLEBER“, „BLINDSCHLEICHE“, „RATTE“ 217 
Sie sich dem perfiden Albion zu Gefallen in eine antirussische Attitüde 
drängen lassen werden. Das Zentrum und seine Adepten wünschen 
natürlich nichts sehnlicher, als uns mit Rußland in Konflikt zu brin- 
gen. Dieses Ziel erstrebt sowohl Rom (d. h. das päpstliche) als wie 
England und Frankreich, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Die 
oben genannten Konzessionen Englands wären ja sehr schön, aber 
doch nie eine mögliche Brouille mit Rußland wert.“ Einige Tage 
später schrieb mir Herbert sichtlich beruhigt: „Ihr Communique 
habe ich mit großer Befriedigung schon gestern gelesen und in seiner 
vorzüglichen Fassung mit Vergnügen Ihre geschickte Hand erkannt. 
Es wird ausgezeichnet wirken und allen funesten Kannegießereien den 
Boden entziehen. Denn es enthält in wenigen kurzen Sätzen, besonders 
am Schluß, das goldene ABC für die richtige Handhabung unserer Bezie- 
hungen zu den politisch antagonistischen und dynastisch intimen Mächten 
Rußland und England. Wenn Ihnen darin nur immer freie Hand gelassen 
wird, so habe ich keine Besorgnis, daß Fehler begangen werden.“ Mit dem 
unfähigen Kleber aus dem Breisgau meinte Herbert Bismarck den in Fried- 
richsruh schlecht angeschriebenen Freiherrn von Marschall. Von seinem 
großen Vater hatte Herbert Bismarck Fähigkeit und Leidenschaft des 
Hasses geerbt. Mehr als gegen Marschall richtete sich übrigens der Unwille 
Herberts gegen zwei meiner Untergebenen, Holstein und Hammann. 
Den ersteren nannte man in Friedrichsruh „‚die Blindschleiche‘“, und Herbert 
warnte mich bei jedem Anlaß vor der Tücke und Bosheit dieses Menschen, 
uneingedenk der unbestreitbaren Tatsache, daß Holstein während eines 
Menschenalters der Vertraute von Vater und Sohn Bismarck gewesen war. 
Der Pressedezernent im Auswärtigen Amt, Geheimrat Hammann, hatte 
seinerzeit für den Grafen Caprivi den publizistischen Kampf gegen den 
großen Alten im Sachsenwalde geführt, und nicht immer geschmackvoll 
geführt. In den folgenden Jahren schwang Hammann mit gleicher Begeiste- 
rung seine übrigens gewandte und jedenfalls eifrige Feder für den greisen 
Hohenlohe wie für mich und sollte sie später mit Enthusiasmus auch für 
Bethmann Hollweg in Bewegung setzen. Für Herbert Bismarck war der 
arme Hammann schon 1897 „‚die Ratte“, die jedes sinkende Schiff verläßt, 
um mit behendem Lauf auf ein anderes zu springen. Damals waren „Ratte“ 
und „Blindschleiche“ innig befreundet. Es sollte aber die Zeit kommen, wo 
sie sich in tödlicher Feindschaft befehdeten. _ 
Ich hatte nach meiner Ernennung zum Staatssekretär der Auswärtigen 
Angelegenheiten den bisherigen Unterstaatssekretär Freiherrn von Roten- 
han durch den früheren Direktor der Kolonialabteilung, Freiherrn von 
Richthofen, ersetzt, der mir seitdem bis zu seinem zu früh erfolgten Tode 
mit ungewöhnlicher Arbeitskraft, immer gleicher Pflichttreue, mit weitem 
Richthofen 
Unterstaats- 
sekretär
	        
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