DER LORD VON EDENHALL 223
gegenüber dem Landesfürsten üblichen Honncurs erweisen sollten. Der
Regent machte auf diese Honneurs Anspruch und hatte seinen Standpunkt
in einem überaus submissen Bittgesuch dem Kaiser unterbreitet. Der Kaiser
antwortete mit einem groben Telegramm, in dem es hieß: „Dem Regenten,
was dem Regenten gebührt. Sonst nichts!“ Im übrigen verbat sich der
Kaiser den Ton, den sich der Regent in seinem Brief erlaube. Namentlich
diese Schlußwendung erweckte allgemeines Befremden, denn man konnte
nicht devoter schreiben, als der Graf Ernst zu Lippe-Biesterfeld, Regent in
Lippe-Detmold, an des Kaisers Majestät geschrieben hatte. Sicherlich
konnte man den ganzen Vorfall einen Sturm im Glase Wasser nennen.
Man konnte auch an das Wort von Goethe denken, daß die deutsche Nation
sich gar nichts zurechtlegen könne, vielmehr durchaus über Strohhalme
stolpere. Wie die Dinge nun einmal lagen und wie sich unser National-
charakter im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hatte, war es doch
eine Warnung und eine berechtigte Warnung, wenn mit Bezug auf das
Verbältnis zwischen den Bundesstaaten ein Bismarckblatt, die „Leipziger
Neusten Nachrichten“, schrieb: „Nur wenn die Grundlinien, die Fürst
Bismarck so scharf und nie so deutlich markierte wie in den letzten Jahren,
mit aller Kraft festgehalten werden, kann das mit Blut und Eisen und Trä-
nen Geschaffene Bestand behalten.‘““ Ein dem Alten in Friedrichsruh damals
weniger freundlich gesinntes Blatt, der „Hamburgische Correspondent‘“, wies
besorgt auf die Schadenfreude hin, mit der sich Partikularisten und Sozia-
listen an dem Feuerchen in Detmold behaglich die Hände wärmten. Noch
verschloß gegenüber solchen Symptomen der jugendliche Kaiser die Augen,
denn er war, um mit dem Fürsten Bismarck zu reden, noch ganz in der
Stimmung des jungen Lords von Edenhall. Auch Wilhelm II. schlürfte
gern in vollem Zug und läutete gern mit lautem Schall. Nur zu oft ließ er
schmettern Festdrommetenschall und forderte das Schicksal heraus, unbe-
kümmert um die besorgten Warnungen, die seines Hauses ältester Vasall
an ihn richtete.
Am 16. Juni 1898 hielt der Kaiser anläßlich seines zehnjährigen Regie-
rungsjubiläums eine Ansprache an die Leibregimenter in Potsdam, in der
er mit Recht und im Einklang mit seinem großen Ahn Friedrich II.
betonte, daß die Armee die Hauptstütze des Landes und die Hauptsäule
des Thrones sei, aber nicht ganz im Einklang mit der Wirklichkeit hinzu-
fügte, zehn Jahre früher bei seiner Thronbesteigung habe nur die Armee
Vertrauen zu ihm gehabt, sie habe an ihn geglaubt, sie solle mit „unbe-
dingtem, eisernem, blindem Gehorsam“ ihm weiter folgen. Es ist schmerz-
lich, sich heute daran zu erinnern, daß auf solche Worte zwanzig Jahre
später die Flucht nach Holland folgen sollte.
Am gleichen Tage richtete Wilbelm II. an den Botschafter in Wien,