226 DIE KINÄDEN
werden würde. Als ich den klugen alten Gerson Bleichröder einmal frug,
warum der Fürst nach seiner Entlassung gar so grausam mit dem armen
Bötticher umgesprungen wäre, erwiderte er mir: „Der Fürst ist wie unser
Jehova ein eifriger Gott, der Missetaten heimsucht und nicht verzeiht.“
Ich möchte annehmen, daß üble Gerüchte, die in München über Philipp
Eulenburg seit dessen Tätigkeit als Sekretär der dortigen preußischen
Gesandtschaft umgingen, durch den seit seiner Versetzung sehr gereizten
Rantzau zur Kenntnis des Fürsten gelangten und durch ihn an Maximilian
Harden weitererzählt wurden. Darauf deutet schon der von Harden über
Philipp Eulenburg und Kuno Moltke gebrauchte Ausdruck „Kinäden“ hin,
der durchaus dem Sprachschatz des Fürsten Bismarck entstammt. Der erste
Anstoß zur moralischen Vernichtung des unglücklichen Philipp Eulenburg
kam von dem großen Hasser in Friedrichsruh, und es war dessen Hand,
die sich neun Jahre nach seinem Tode aus dem Grabe im Sachsenwalde
gegen den Mann emporreckte, den er für einen Intriganten und Schwindler
hielt. Andererseits kann ich bei allem Mitleid für Philipp Eulenburg nicht
bestreiten, daß er den Kaiser trotz meiner Warnungen immer wieder gegen
Friedrichsruh hetzte. Als bei der Trauerfeier in Friedrichsruh Eulenburg
mit ausgebreiteten Armen auf Graf Herbert zukam, drehte ihm dieser vor
mir und allen anderen kalt und demonstrativ den Rücken. Phili war eine
weiche Natur, aber Tauben können auch giftig sein. Philipp Eulenburg
suchte der Familie Bismarck — seine Ranküne ging gegen den großen
Vater, die beiden Söhne, die Tochter und den Schwiegersohn Rantzau —
dadurch zu schaden, daß er sie beim Kaiser lächerlich machte. Ich entsinne
mich eines von Phili für Seine Majestät gedichteten „ägyptischen Mär-
chens‘“, in dem unter deutlicher Anspielung auf Bismarck, Vater und Sohn,
das Wüten eines Apis-Stiers geschildert wurde, der, weil er sich durch das
Einreißen trennender Zäune im Reiche des alten Pharao verdient gemacht
hatte, auf göttliche Ehren Anspruch erhob und, unterstützt von abtrün-
nigen Priestern und närrischen Philosophen, dem jungen, genialen Nach-
folger des früheren, gütigen, aber schließlich senil gewordenen Herrschers
das Leben mit Raffinement und nicht ohne Erfolg verleidete. Aber der
geniale „neue Herr“ ließ sich solche unverschämte Überhebung nicht ge-
fallen. Er zog dem bösen Apis-Stier einen eisernen Ring durch die Nasen-
löcher und sperrte ihn mitsamt den zwei jungen Bullen, seinen Söhnen, in
einen Stall, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte. Da war Ägypten
froh! Da jauchzten alle treuen Untertanen des jungen Pharao! Der Kaiser
lachte sehr über dieses Märchen, dessen häßliche Tendenz auch durch ein
Mehr an Poesie und Geist nicht hätte aufgewogen werden können. Noch
übler waren die Geschichten, die Philipp Eulenburg Seiner Majestät über
die Gräfin Marie Rantzau, die einzige, gutmütige und harmlose Tochter des