Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

„ACH, DEUTSCHLAND!“ 229 
Fürsten Bismarck erhalten. In Beantwortung meines Glückwunsches zu 
seinem 83. Geburtstag telegraphierte er mir am gleichen Tage: „Ich danke 
verbindlichst für Eurer Exzellenz freundlichen Glückwunsch und bitte, 
mich Ihrer Frau Gemahlin zu Gnaden zu empfehlen.‘ Ende Juli verbrei- 
teten sich Nachrichten über eine besorgniserregende Verschlechterung im 
Befinden des Fürsten Bismarck. Am 30. Juli, 11 Uhr abends, ging er in die 
Ewigkeit. Eine ihm und seiner Familie befreundete Dame, die am Sterbe- 
bett stand, erzählte mir später, Fürst Bismarck habe in seinen Phantasien 
Serbien, Rußland und England genannt, habe wiederholt „Hilfe, Hilfe!“ 
gerufen und immer wieder gestöhnt: „Aber ach, Deutschland, Deutschland, 
Deutschland!“ Hatten die Alten recht, wenn sie glaubten, daß dem Ster- 
benden die Götter in einer letzten Vision bevorstehendes Unheil, kommende 
Gefahren zeigen? Sah, als er „Ach, Deutschland!“ und „Hilfe!“ rief und 
nacheinander Serbien, Rußland, England nannte, der sterbende Begründer 
des Reichs die Klippen vor sich, an denen seine Schöpfung zwanzig Jahre 
später scheitern sollte? Das letzte vernehmliche Wort, das Bismarck sprach, 
war: „Die Staatsräson!“ Die Gedanken des in St. Helena sterbenden 
Napoleon weilten auf dem Schlachtfeld: „Tete de l’armee‘‘ waren seine 
letzten Worte. Die letzten Empfindungen, Wünsche und Sorgen des Fürsten 
Bismarck waren dem Staat gewidmet, dem er wie kein anderer gedient hat. 
Ich verließ nach Empfang der Todesnachricht sogleich den Semmering, 
den ich im Hochsommer aufzusuchen pflegte, um dem Kaiser nach Kiel 
entgegenzufahren, wo er, dem die Trauerbotschaft auf seiner Nordlandreise 
zugegangen war, erwartet wurde. Auf der Durchreise hielt ich mich einige 
Stunden in Berlin auf. Holstein suchte mich sogleich auf. Mit fieberhaftem 
Eifer bemühte er sich, mir einzureden, daß Bismarcks Tod im Volk keiner- 
lei Bewegung, geschweige denn Trauer hervorgerufen habe. Er erinnerte an 
das häßliche Wort, mit dem siebenundsiebzig Jahre früher Talleyrand die 
Nachricht von dem Tode seines einstigen Gönners, des großen Napoleon, 
begrüßt hatte: „„Cen’est pas un Evenement, c’est a peine une nouvelle.“ Er 
beschwerte sich über den Unterstaatssekretär Richthofen, der die Fahne 
auf dem Auswärtigen Amt halbstocks gehißt habe. Dieses demonstrative 
Zeichen der Trauer werde im liberal denkenden und empfindenden Bürger- 
tum, noch mehr in den Arbeitermassen allgemein mißfallen und überdies, 
was das Bedenklichste wäre, den Zorn Seiner Majestät auf das Auswärtige 
Amt lenken. In seiner blinden und dabei so kleinlichen Gehässigkeit 
erschien mir der alte Geheimrat von Holstein, der dem großen Fürsten 
Bismarck während über dreißig Jahre nähergestanden hatte als die meisten 
anderen, wie ein tückischer Wolf, der hinter das Gitter gehört, nicht ins 
Freie. In Kiel fand ich Wilhelm II., wie meist in bedeutungsvollen Augen- 
blicken und bei Schicksalswendungen, in nervöser Stimmung. Er wollte 
Bismarck 
im Sterben 
Bestattung in 
Friedrichsruh
	        
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