Seefahrt
248 LEKTÜRE AN BORD
viel leichter, als sich die Leute einbilden. Mit etwas Grips und einer guten
Veranlagung wird man schon damit fertig.“ Ich habe in meinem Leben
und namentlich seit dem Umsturz von 1918 mehr als einen Politiker ge-
schen, der auf seinem Betätigungsfelde ebenso dachte wie der wackere
General von Lo@n auf dem Frankfurter Exerzierplatz.
Gräfin Therese Brockdorff, die Tochter dieses Generals von Loen, war
in ihrer Jugend sehr schön gewesen und sah noch inreiferen Jahren gut aus.
Sie hielt sich der Politik fern, oder sie wollte sich wenigstens nicht in Politik
einmischen. Aber bei ihrem lebhaften Temperament wirkte sie doch nach
Möglichkeit auf ihre hohe Gebieterin im Sinne ihrer eigenen politischen
Überzeugungen ein, und diese waren konservativ, agrarisch und streng
evangelisch. In letzterer Hinsicht wurde sie an Eifer noch von der Gräfin
Mathilde Keller übertroffen, deren Schwager Graf Wintzingerode lange
Vorsitzender des Evangelischen Bundes war. Anläßlich der von mir vor-
geschlagenen Aufhebung des Artikels 2 des Jesuitengesetzes suchte Graf
Wintzingerode im Frühjahr 1904 eine Unterredung mit mir nach, in der er
mir erregt darüber klagte, daß in bisher rein protestantischen Orten wie
Stettin und Kiel katholische Kirchen gebaut würden. Ich begnügte mich,
ihm zu erwidern: „So bauen Sie neben jede neue katholische zwei neue
evangelische Kirchen.“ Gräfin Therese Brockdorff war sehr mit mir einver-
standen, als ich durch Zoll- und Handelsverträge die Landwirtschaft
schützte. Während der Blockperiode aber hatte ich, wenigstens politisch,
ihre Freundschaft eingebüßt, und als ich für die Erbschaftssteuer eintrat,
meinte sie mit schmerzlichem Ausdruck, ich lege die Axt an Thron und
Altar. Alle Hofdamen waren wie Ihre Majestät selbst sehr antienglisch.
Inzwischen trug uns die weiße „Hohenzollern“ am Monte Gargano
vorbei, an Zante, der Blume der Levante, an Kythera, dem Lieblingssitz
der goldenen Aphrodite. Sie trug uns durch das Aegäische Meer, dessen
Inseln die Brücke gebildet hatten, auf der vor mehr als dreitausend Jahren
die phönizische und kleinasiatische Kultur nach Griechenland und Europa
kam. Von loniern besiedelt wurden die Zykladen und Sporaden, die thrazi-
schen Inseln nacheinander von Athen und Sparta, von Mazedonien und
Rom, von Byzanz und von Venedig, endlich von den Osmanen beherrscht,
und jetzt führte ein deutsches Schiff den Deutschen Kaiser an ihnen vorbei
nach der einstigen Residenz des Kaisers Konstantin und des Sultans
Soliman. Um uns die auf Seereisen immer recht lange Zeit zu verkürzen,
las uns der Kaiser die Beschreibung einer Palästinareise vor. Ich weiß nicht,
welcher Kobold gerade diese Reisebeschreibung Seiner Majestät in die Hand
gespielt hatte, denn sie war in ausgesprochen rationalistischem Geiste ge-
halten. Die Kaiserin und ihre Damen saßen wie auf Kohlen, wagten aber
keinen lauten Widerspruch. Wilhelm II. hatte in seiner Jugend oft darüber