Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

250 DER MISSTRAUISCHE PADISCHANU 
soviel als: Ich bin Staub zu den Füßen Eurer Majestät. Aus den Antworten 
des Sultans sprach große Vorsicht und viel List. Beide ihm sonst gewiß 
nützliche und sogar notwendige Eigenschaften wurden aber durch seine 
morbide Angst nicht nur vor Revolution und Attentaten, sondern vor jedem 
publizistischen Angriff in das Pathologische gesteigert. Es war ein gewöhn- 
licher Trick aller Revolverjournalisten, namentlich in Paris, aber gelegent- 
lich auch in Deutschland, dem Sultan Abdul Hamid mit Enthüllungen über 
die türkischen Zustände zu drohen. Solche Erpresser wurden fast immer 
von ihm mit Geld abgefunden, und wenn sie gar mit einer Propaganda zu- 
gunsten irgendeines türkischen, im Serail eingesperrten Prinzen als An- 
wärter aufden Sultansthron drohten, so wurden sie mit hohen Summen zum 
Schweigen gebracht. Der erste Dragoman unserer Botschaft, Testa, einer 
der besten Kenner der türkischen Verhältnisse, erzählte mir, daß sich vor 
der großen Parade, die zu Ehren des Deutschen Kaisers in Konstantinopel 
stattfand und der auch ich beiwohnte, ein eigenartiger Zwischenfall er- 
eignet hatte. Ein türkischer Rittmeister, der sich mit seiner Schwadron 
zur Parade einfinden sollte, hatte direkt an den Sultan telegraphiert, er 
halte es für seine Pflicht, ihm zu melden, daß bedrohliche Truppenbewe- 
gungen gegen die Hauptstadt im Gange wären. Als ich Testa frug, ob der 
betreffende Offizier inzwischen seinen Abschied erhalten habe oder in ein 
Irrenhaus überführt worden wäre, entgegnete mir unser Dragoman: „Im 
Gegenteil! Der Sultan hat ihm ein Geldgeschenk gemacht und ihn zu seinem 
Flügeladjutanten ernannt.“ 
Das besondere Mißtrauen des Sultans galt seinen auswärtigen Missionen, 
seiner Marine und — der Elektrizität. Für seine Vertretungen im Ausland 
hatte sich Abdul Hamid ein sinnreiches Spionagesystem ausgedacht. Der 
Missionschef wurde vom Sekretär überwacht, dieser vom Militärattache, 
der Militärattache& von seinem Kameraden, dem Marineattache, der Marine- 
attach& wieder vom Botschafter. Schließlich haben sie alle zusammen den 
Sultan betrogen und verraten. Die Marine wurde von Abdul Hamid bearg- 
wöhnt und gehaßt, weil sein Vorgänger Abdul Asis von ihr entthront 
worden war. Der Marineminister Hassan-Pascha, der für den größten Dieb 
unter allen türkischen Beamten galt, was viel sagen wollte, erfreute sich 
der besonderen Gunst seines Herrn, weil er nichts unterließ, um die türki- 
sche Flotte.in Grund und Boden zu ruinieren. Ich habe jahrelang in Kiel 
ein türkisches Kriegsschiff liegen sehen, das, wenn ich mich recht erinnere, 
um dem Kaiser ein Geschenk des Sultans zu überbringen, nach unserem 
schönen Ostseehafen gekommen war. Es konnte die Rückreise nicht an- 
treten, da der Kapitän kein Geld besaß, um sich mit Kohlen und Lebens- 
mitteln zu versehen. Die Matrosen konnten erst recht nicht ihren bescheide- 
nen Lohn erhalten. Die armen Teufel suchten sich als Landarbeiter auf den
	        
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