DIE KAISERIN IM HAREM 251
umliegenden holsteinischen Gütern ein paar Groschen zu verdienen, um
nicht zu verhungern. Fast so schr wie die Marine wurde die Elektrizität vom
Sultan Abdul Hamid mit argwöhnischen Augen angesehen. Während unseres
Besuchs in Konstantinopel weilte dort der Vertreter einer großen deutschen
Elektrizitätsgesellschaft, um für sie die Konzession für die elektrische Be-
leuchtung der türkischen Hauptstadt zu erreichen. Diese Beleuchtung war
schon aus Gründen der nächtlichen Sicherheit dringend erwünscht. Aber
alle Bemühungen, die Konzession zu erlangen, waren vergeblich. Der
Sultan fürchtete den elektrischen Funken. Alle diese Dinge sah Wilhelm II.
nicht, oder vielmehr er wollte sie in seiner Vorliebe für den Sultan und alles
Türkische nicht sehen. Il n’y a pas de pire sourd que celui qui ne veut pas
entendre. Die Kaiserin war weniger voreingenommen, schon weil die türki-
sche Polygamie ihr durchaus mißfiel. Sie konnte sich nur schwer ent-
schließen, dem Harem des Sultans einen Besuch abzustatten. Sie fand es,
eigentlich mit Recht, nicht würdig, daß eine deutsche und christliche Frau
ein solches Gefängnis besuchte, wo Frauen bei allem Luxus das Leben von
Sklavinnen führten. Schließlich fügte sich die Kaiserin auch hier dem Gebot
ihres Gemahls, der auf dem Besuch im Harem bestand. Als ich die Kaiserin
hinterher frug, wie es nun eigentlich im Harem aussehe, meinte sie: „Ach
Gott! Eine Menge sehr dicker Frauen in Pariser Toiletten, die ihnen schlecht
standen, die Konfitüren und Pralin&s aßen und furchtbar gelangweilt aus-
sahen.“
Ich bilde mir nicht ein, in wenigen Tagen einen tieferen Einblick in die
türkischen Verhältnisse gewonnen zu haben. Auch darin unterscheide ich
mich von Matthias Erzberger, der 1917 dem von ihm subventionierten
Redakteur der „Züricher Neuesten Nachrichten“ mit Bestimmtheit er-
klärte, wenn er nur eine halbe Stunde mit Lloyd ‚George sprechen könnte,
würde er alle englisch-deutschen Mei heiten beilegen. Da-
bei verstand Erzberger kein Wort F Tanzösisch oder Englisch, während es
mir andererseits nicht ganz sicher ist, ob Lloyd George die deutsche Sprache
beherrscht. Immerhin habe ich aus eingehenden Gesprächen mit Testa,
mit Marschall, die beide allerdings sehr türkenfreundlich waren, mit unseren
nach der Türkei kommandierten Offizieren, die fast alle die Verhältnisse
nüchterner und kritischer ansahen als unsere Diplomaten, schon weil sie
den Dingen näherstanden und in die Provinz kamen, auch in Gesprächen
mit alten Freunden, die ich unter den diplomatischen Vertretern anderer
Staaten in Konstantinopel wiederfand, manche nützliche Einblicke ge-
wonnen, die mich während meiner Amtszeit in dem Bestreben bestärkten,
den zu weit gehenden Enthusiasmus des Kaisers und seinen übertriebenen
Eifer für alles Türkische und Mohammedanische zu mäßigen und zu zügeln.
Wohl erinnerte ich mich der berühmten Antwort, diein den siebziger Jahren
Die Türkei
in Europa