Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER „KRANKE MANN*® 253 
Illusionen machen dürften und von dessen grüner Fahne nicht viel zu er- 
warten war. Die Türkei war viclleicht nicht so schr der „kranke Mann“, 
wie Kaiser Nikolaus I. dies 1853 gegenüber dem englischen Gesandten in 
St. Petersburg, Sir George Hamilton Seymour, behauptet hatte, aber sie 
war ein alter Mann, der schon viel durchgemacht hatte und der keine 
Gewaltkuren, geschweige denn wiederholte Gewaltkuren, mehr vertrug. 
Während wir in Konstantinopel weilten, hatte ich mehrere Unter- 
redungen mit dem damaligen Direktor der Deutschen Bank, Georg von 
Siemens. Dieser hervorragende Geschäftsmann, der eigentliche Vater des 
Gedankens der Bagdadbahn, war sich ebenso wie später Herr von Gwinner 
immer dessen bewußt, daß der großartige Plan nur bei einer vorsichtigen, 
geschickten und namentlich bei einer den Frieden erhaltenden deutschen 
Politik durchzuführen war. Herr von Siemens, der mir als freisinniger 
Abgeordneter im Reichstag insbesondere in allen Bank- und Börsenfragen 
durch Verstandesschärfe und Sachkenntnis einen sehr günstigen Eindruck 
machte, starb zu früh, nur sechzig Jahre alt, kaum ein Jahr nach meiner 
Ernennung zum Reichskanzler. Ich entsinne mich wohl der Fahrt, die ich 
an einem wundervollen Oktobermorgen mit Georg von Siemens von Kon- 
stantinopel nach Haidar-Pascha unternahm, während deren er mir sein 
Projekt entwickelte. Es bedurfte sechzehnjähriger Verhandlungen mit 
vielen ups end downs, bis die Ideen von Siemens der Verwirklichung nahe- 
kamen. Zwischen uns und England war ein Abkommen über die Bagdad- 
bahn gerade zustandegekommen, als der Blitz des Ultimatums an Serbien 
einschlug. Unser damaliger Botschafter in London, Fürst Lichnowsky, 
erhielt die kalligraphisch meisterhaft ausgeführte und mit einem wunder- 
vollen Siegel versehene Ratifikationsurkunde des deutsch-englischen 
Bagdadbahnvertrages an demselben Tage, wo England uns nach unserm 
Einmarsch in Belgien den Krieg erklärte. Wäre dieses Symptom für die 
Kopflosigkeit unserer damaligen Außenpolitik nicht gar so tragisch, so 
würde ich Juvenal zitieren: Diffhcile est, satiram non scribere. 
Am 26. Oktober landeten wir in Haifa. Während der schönen, ganz 
ruhigen Meeresfahrt kamen wir an der Küste von Troja vorbei: 
Und Ilias und Odyssee 
Entstiegen mit Gesang der See. 
Bei meiner alten und unbegrenzten Liebe für Homer wäre ich gern aus- 
gestiegen, um das nun stille Gefilde von Ilion mit dem rauschenden Ska- 
mander in der blumengeschmückten trojanischen Ebene zu erblicken. 
Aber — Deus mihi non haec otia fecit. In Haifa betraten wir mit hoch- 
gespannten Erwartungen den Boden des Heiligen Landes. Ich hatte die 
„Hohenzollern“ wenige Minuten nach dem Kaiser verlassen, da ich noch 
Die Bagdad- 
balın 
Landung in 
Syrien
	        
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