Einritt in
Jerusalem
254 ZIONISTEN-DEPUTATION
einige Telegramme nach Berlin abzusenden hatte. Ich traf Seine Majestät
auf einer Bank vor einer ärmlichen, schmutzigen Hütte. Die Hütte und
Seine Majestät waren von Fliegen umschwärmt. Diese Fliegen waren schr
zudringlich. Die Hitze war fürchterlich. In diesem Augenblick näherte sich
uns mit feierlicher Miene der Präsident des Evangelischen Oberkirchenrats,
Exzellenz Dr. D. Barckhausen, und begann eine Ansprache, in der er darauf
hinwies, daß an dieser Stäite, wie aus der Apostelgeschichte, Kapitel XXI,
Vers 7, hervorgehe, der heilige Paulus geweilt habe. Mit der Natürlichkeit,
die eine der besten Eigenschaften Wilhelms II. war und immer wieder mit
ihm versöhnte, entgegnete er dem würdigen Präsidenten: ‚Das ist alles
schön und gut. Ich habe auch eine große Verehrung für Paulus und für alle
anderen Apostel, aber jetzt möchte ich statt einer Predigt lieber ein Glas
Sodawasser, um mir den Staub herunterzuspülen.“
Der Weg von Haifa bis Jerusalem wurde nicht mit der Eisenbahn,
sondern zu Pferde oder im Wagen zurückgelegt, und darüber freuten wir
uns alle. Eine Eisenbahn mit Waggons, Schaffnern und dampfender Loko-
motive paßte wirklich nicht in die Szenerie und auch nicht in die Stimmung
derer, die Sinn für diese Landschaft hatten, wo sich Ereignisse abspielten,
die für die Entwicklung der Menschheit bedeutsamer waren als alle politi-
schen Vorgänge, alle diplomatischen Ränke, alle kriegerischen Zusammen-
stöße der Weltgeschichte. Als wir am nächsten Tage auf unserem Wege
nicht weit vor uns eine auf einem Eselchen reitende Frau erblickten, die
ein Kind im Arm hielt, neben der ein rüstiger Mann mit gütigem Ausdruck
einherschritt, dachte ich daran, daß einst eine Mutter mit einem Kinde, das
die Welt erlösen sollte, diese Straße gezogen war.
Am 29. Oktoberritten wirin Jerusalemein. Der Augenblick des Einzugs
ist durch ein Gemälde festgehalten worden, leider von einem sehr mittel-
mäßigen Künstler, Hermann Knackfuß, der uns auf der Orientreise be-
gleitete und durch seine albernen Vorträge über Kunst und Natur allen Mit-
reisenden auf die Nerven ging. Vor dem Tor, durch das wir einzogen, wollte
eine Deputation von Zionisten eine Ansprache an den Kaiser richten. An
ihrer Spitze stand Dr. Theodor Herzl, ein geistreicher, von heiligem Eifer
für die Sache des Zionismus erfüllter Wiener Publizist. Er war Kaiser
Wilhelm durch den Großherzog von Baden vorgestellt worden. Wilhelm II.
war anfänglich Feuer und Flamme für die zionistische Idee, weil er auf diese
Weise sein Land von vielen ihm nicht besonders sympathischen Elementen
zu befreien hoffte. Als ihm aber der damalige türkische Botschafter in
Berlin, der uns auf unserer Orientreise begleitete, klargemacht hatte, daß
der Sultan vom Zionismus und von einem unabhängigen jüdischen Reich
nichts wissen wollte, ließ er die zionistische Sache fallen und weigerte sich,
ihre Vertreter in Zion zu empfangen. Am gleichen Tage wurde zuerst die