Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE PRINZESSIN VON AUGUSTENBURG 263 
Agrarier als die sicherste Stütze von Thron und Altar. So wie sie war, 
würde sie eine vortreffliche Kommandeuse geworden sein, wie man in der 
Sprache unserer alten ruhmvollen Armee sagte. Sie würde sich als Frau 
des Kommandierenden Generals oder des Oberpräsidenten einer Provinz, 
auch als Ministergattin allgemein Achtung und Liebe erworben haben. In 
allen diesen Stellungen würde das Urteil über sie gelautet haben: Tadellose 
Frau, durch und durch pflichttreu und so ganz deutsch! Sie hatte nicht die 
komplizierte Seele der Russin, nicht den Elan der Polin, nicht die Härte 
und noch weniger die Koketterie der Französin, nicht die Leidenschaft 
und den Charme der Italienerin. Sie war auch kein Sport-woman wie die 
Engländerin, und jeder Gedanke an Flirt lag ihr meilenfern. Ihre Verbin- 
dung mit dem künftigen König von Preußen und Deutschen Kaiser, dem 
damaligen Prinzen Wilhelm von Preußen, war von der Königin Victoria 
von England und deren ältester Tochter, der Kronprinzessin von Preußen, 
schon beschlossen worden, als die Prinzessin Auguste Viktoria von Schles- 
wig-Holstein-Sonderb A t g ebenso wie ihr künftiger Gemahl 
noch Kinder waren. Wilhelm II. hat mir gelegentlich erzählt, er sei als 
Knabe einmal in Venedig gewesen. Da habe ihn seine Mutter mit einem 
Kranz nach einer Insel in der Nähe von Venedig geschickt, wo sich das 
Grab einer längst verstorbenen Prinzeß von Holstein befunden habe, dort 
hätte er den Kranz niederlegen müssen. Erst später habe er begriffen, daß 
damals schon seine Vermählung mit einer Prinzeß von Holstein beschlos- 
sene Sache gewesen wäre. Die Familie Holstein hatte gefürchtet, daß Fürst 
Bismarck im Hinblick auf die politischen Streitigkeiten, die er mit dem 
Herzog Friedrich von Augustenburg gehabt hatte, nicht seine Einwilligung 
zu einer Verbindung des künftigen Königs von Preußen mit einer Tochter 
des Herzogs geben würde. Diese Besorgnis stellte sich als unbegründet 
heraus. Der Kanzler erhob keinen Widerspruch. Trotzdem stand die 
Kaiserin Auguste Viktoria dem Fürsten Bismarck innerlich kühl gegen- 
über. Sie hat nie die aus Augustenburgischer Ranküne, Mißtrauen und 
Furcht gemischte Scheu überwunden, mit der sie bei der ersten Defiliercour 
nach ihrer Vermählung den großen Kanzler begrüßt hatte. Herbert Bis- 
marck war ihr ganz antipathisch. Daß er in feucht-fröhlicher Stimmung 
gelegentlich formlos sein konnte, würde sie allenfalls verziehen haben, 
nicht aber die „unpassenden‘‘ Witze und Anekdötchen, die er auch vor 
Damen zum besten gab. Ich glaube nicht, daß die Kaiserin Auguste Vik- 
toria auf den Sturz des Fürsten hingearbeitet hat, dazu war sie zu gewissen- 
haft, auch lagen ihr Intrigen fern. Aber sie hat, wie gesagt, bei aller ihrer 
sonstigen Herzensgüte und trotz ihres aufrichtigen Christentums dem 
großen preußischen Minister ganz doch nie verziehen, daß er ihren Vater 
und ihr Haus verhindert hat, den Thron des meerumschlungenen Schleswig-
	        
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