DIE ENGLÄNDER AUF MALTA 265
Nur wenige Tage nachdem der Kaiser nach Holland geflohen war, begab
sich die Kaiserin zu ihm. Als sie in Amerongen ankam, stand Wilhelm II.
vor ihr auf der Fallbrücke, die in das kleine holländische Schloß führt. Sie
hatte ihn nicht mehr gesehen, seitdem er Anfang November das Neue
Palais verlassen hatte, um sich an die Front zu begeben. Wilhelm II. sah
sehr unglücklich aus, vor allem sehr verlegen. Die Kaiserin aber, so erzählte
mir ein Augenzeuge dieser Begegnung, wandte ihrem Gemall einen Blick
grenzenloser, tiefster Liebe zu, den Blick einer Mutter, die zu ihrem Sohn
sagt: „Was du auch getan haben magst, meiner Licbe, meincs Verständ-
nisses, meiner Nachsicht, wo du solcher bedarfst, bist du immer sicher.“
Sie hat, bevor sie erlöst wurde, nicht nur seelisch, auch körperlich schwer
leiden müssen. Ich bin überzeugt, daß sie diese Leiden geduldig getragen
hat als eine Prüfung und im festen Glauben an das Jenseits. Und so möge
sich an der edlen und guten Frau das Schlußwort des Zinzendorfschen
Liedes erfüllen:
Tu uns nach dem Lauf
Deine Türe auf.
Die Rückreise von Syrien nach der Heimat sollte ursprünglich über
Malta und Gibraltar gehen. Der Kaiser begründete seine Reiselust in dieser
Richtung damit, daß er zur Beurteilung der europäischen Gesamtsituation
sich durch den Augenschein davon überzeugen müsse, wie stark die eng-
lische Position in diesen beiden Hauptstützpunkten der Engländer im
Mittelmeer wäre. Es gelang der Kaiserin, ihrem Gemahl Gibraltar auszu-
reden, indem sie ihm vorstellte, daß die Rückreise von dort auf dem Land-
wege über Spanien ein zu großer Umweg wäre, während es andererseits
keinen rechten Sinn hätte, an den Toren des Herkules umzukehren. So
wurde, zur Befriedigung aller Reisegefährten, auf eine weitere Ausdehnung
der Reise verzichtet, und wir begnügten uns mit Malta, der Insel, wo Phöni-
zier und Karthager, Römer, Vandalen und Goten, Byzantiner und Araber
geherrscht, wo der ritterliche Orden St. Johannes vom Spital und der
Premier consul Bonaparte geboten hatten, bis sie wie so viele andere wich-
tigste Punkte der Erde an England fiel, das mit neuen Methoden und in
anderer Form die römische Weltherrschaft erneuert hat.
Vor unserem Eintreffen hatte der Kaiser wiederholt bei Tisch erklärt,
daß er gegenüber dem Engländer auf Malta und insbesondere gegenüber
den englischen Seeoffizieren eine ernste Sprache führen werde, denn er
habe sich über eine Reihe englischer Übergriffe und Unfreundlichkeiten zu
beklagen. In letzterer Richtung war die Ranküne Seiner Majestät damals
übertrieben, sie kam aber überhaupt nicht zum Ausbruch, denn wie meist
bei persönlichen Begegnungen mit Engländern erlag der Kaiser dem Zauber,
Rückfahrt
über Malta