Erster Besuch
bei Holstein
6 DAS SCHRECKGESPENST FÜR HOLSTEIN
allem für die Notwendigkeit voller Parität und großzügiger, großherziger
Gerechtigkeit gegenüber beiden christlichen Kirchen. Im übrigen würde ich
meinem lieben Frangois dankbar sein, wenn er mir ein praktisches und mit
meinen Pflichten gegenüber Land und Krone vereinbares Mittel angäbe,
von hier fort und nach Rom zurückzukommen. Noch immer knurrend,
aber doch schon beruhigter und mit der freundlichen Zusicherung, er werde
seine Partei zu besänftigen trachten, jedenfalls sie nicht noch mehr auf-
hetzen, begleitete mich Arenberg zum Auswärtigen Amt, wo ich Holstein
aufsuchte, von dem ich schon einen aufgeregten Brief vorgefunden hatte,
in dem er mich beschwor, niemand im Auswärtigen Amt zu besuchen,
keinen Menschen in Berlin zu sehen und mir nach keiner Richtung irgend-
wie die Hände zu binden, bevor er mit mir gesprochen habe.
Ich fand Holstein in einer nicht ganz einfachen Gemütsverfassung in seiner
berühmten Stube neben dem Zimmer des Staatssekretärs, zu dem er jeden
Augenblick unangemeldet hereinstürzte und dessen Nerven und Gemütsruhe
er dadurch auf eine harte Probe stellte. Holstein hätte am liebsten Marschall
als Staatssekretär behalten, da er wußte, wie groß sein Einfluß gerade auf
ihn war. Daß Marschalls Stellung stark erschüttert war, steigerte seine
Zuneigung zu dem bisherigen Staatssekretär, weil der dadurch noch an-
lehnungsbedürftiger würde. Aber er sah mich noch immer lieber als manchen
andern möglichen Nachfolger. Er ging zunächst mit mir diejenigen durch,
von denen ich vielleicht hoffe, daß sie mir den bitteren Kelch ersparen
könnten, indem sie sich selbst auf den Stuhl von Marschall setzten. Er
machte dabei die geistreiche und zutreffende Bemerkung, daß Kiderlen
unmöglich wäre: „Das Auswärtige Amt verträgt allenfalls Holstein, im
schlimmsten Fall auch Kiderlen, aber Kiderlen und Holstein, das ist zu
viel.‘“ Monts sei ausgeschlossen. Seine Begabung liege nur im Negativen,
nur in der Kritik, positiv sei er unfähig. Er habe gute wirtschaftliche Kennt-
nisse, sei aber kein politischer Kopf, er könne keinen politischen Gedanken
zu Ende denken. Vor allem sei er von einer gefährlichen Taktlosigkeit.
Er habe bisher noch auf allen seinen Posten versagt. Ich merkte bald, daß
Holstein nicht so sehr Monts als Nachfolger fürchtete, den er für ziemlich
ausgeschlossen hielt, und ebensowenig Kiderlen, von dem er wußte, daß er
beim Kaiser in Ungnade gefallen-war, wohl aber ein Wiederhervorholen von
Berchem oder gar die Rückkehr zu Herbert Bismarck, der ihm seit seinem
Abfall vom Hause Bismarck in schlaflosen Nächten als Schreckgespenst
erschien mit dem zornigen Riesenvater hinter sich. Während mich Holstein
einerseits immer wieder bat und beschwor, dem Kaiser keine runde Absage
zu geben, schilderte er mir andererseits das Auswärtige Amt, die Bezie-
hungen der Minister untereinander und das ganze Berliner Leben als ein
wahres Inferno. Das sollte mich von vornherein ängstlich und unsicher