SÜDDEUTSCHE HÖFE 267
von Schaumburg-Lippe und des Grafen Ernst zu Lippe-Biesterfeld gegen-
einander abgewogen. Der Kaiser wurde einen Augenblick stutzig, als ich
ihm vorhielt, daß es dem preußischen Interesse nicht entspreche, die Kin-
der einer Gräfin Wartensleben für unebenbürtig zu erklären, wo die Familie
Wartensleben der Monarchie viele und treffliche Offiziere und Beamte ge-
stellt hätte und wo überhaupt der sogenannte kleine Adel für die Nation
auf allen Gebieten viel mehr geleistet habe als alle Mediatisierten und die
Mehrzahl der kleinen Fürstenhäuser zusammen. Der Kaiser kam immer
wieder darauf zurück, daß es nicht an der öffentlichen Meinung, der Presse
oder gar am Reichstag sei, Sukzessionsfragen zu entscheiden, die zu regeln
ausschließlich Sache der deutschen Fürsten wäre. Er werde sich auf der
Rückreise durch Deutschland bemühen, die Fürsten für seine Anschau-
ungen und Pläne in dieser Richtung zu gewinnen.
Wir passierten bald darauf die süddeutschen Hauptstädte. Überall
benutzte der Kaiser den 10 bis 15 Minuten langen Aufenthalt, um die
Fürsten und Minister, die ihn erwarteten, für seinen Standpunkt in der
Lippischen Frage zu erwärmen. Sie alle, insbesondere der Prinzregent von
Bayern und der König von Württemberg, erwiderten, daß sie gegen die
Ansicht ihrer Minister und ohne Anhörung ihrer Kammern nichts machen
könnten. Nichts wurmte den Kaiser mehr, als wenn Fürsten sich außer-
stande erklärten, den Widerstand ihrer Volksvertretungen oder ihrer
Minister zu überwinden. Er sah darin eine Art Untreue gegen das von Gott
dem Fürsten übertragene Amt, für das dieser, wie Wilhelm II. ja auch
öffentlich ausgeführt hatte, nur dem Allmächtigen, keinem Menschen sonst
verantwortlich wäre. An dieser Überzeugung hat Kaiser Wilhelm bis an
das Ende seiner Regierung festgehalten. Als ein der deutschen Sprache
mächtiger römischer Prälat im Frühjahr 1915 vom Kaiser im Schloß Pleß
empfangen wurde, richtete Seine Majestät scharfe Angriffe gegen’ König
Vietor Emanuel von Italien, der kurz vorher Österreich den Krieg hatte
erklären lassen. Als der Monsignore darauf hinwies, daß der König von
Italien kaum anders habe handeln können, da das Ministerium Salandra-
Sonnino auf der Kriegserklärung an Österreich bestanden hätte, bestritt
der Kaiser mit Vehemenz diese Auffassung. Beim Jüngsten Gericht, führte
der Kaiser aus, werde König Victor Emanuel nicht damit durchkommen,
daß er die Verantwortung für die Kriegserklärung auf seine Minister ab-
schiebe. Der liebe Gott werde dann zu ihm sagen: „‚Ne, Männeken, damit
kommst du bei mir nicht durch! Wer hat dich zum König gemacht? Deine
Minister? Dein Parlament’? Ich allein habe dich zu dieser Stellung erhoben,
mir allein bist du verantwortlich, herunter mit dir in die Hölle oder wenig-
stens ins Fegefeuer.‘‘ Der römische Prälat war nicht wenig konsterniert ob
dieser etwas anthropomorphistischen Betrachtungweise Seiner Majestät.
Reise
durch Süd-
deutschland