Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Eintreffen 
in Potsdam 
268 BAYERN UND DER MILITÄR-STRAFPROZESS 
Bei den Besuchen in Stuttgart und München blieben alle Über- 
redungskünste des Kaisers, seine glänzende Dialektik und seine gewinnende 
Liebenswürdigkeit vergeblich gegenüber der Vis inertiae der Souveräne, die 
gerade in der Lippischen Frage ihre Kammern mehr fürchteten als eine 
Verstimmung des Kaisers, von der sie bei dem Naturell des hohen Herrn 
annahmen, daß sie nur vorübergehend sein würde. Nur in Baden-Baden, 
wo wir einen ganzen Tag zubrachten, fand der Kaiser willigeres Gehör. 
Im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Fürsten stand Großherzog 
Friedrich infolge verwandtschaftlicher Beziehungen zu Bückeburg inner- 
lich mehr auf dessen Seite, obwohl die Geschichte gerade des Hauses 
Zähringen ihn zur Nachsicht gegenüber unebenbürtigen Ehen hätte veran- 
lassen sollen. Die Sympathie des Großherzogs für den kaiserlichen Stand- 
punkt in der Lippe-Frage war aber mehr platonischer Natur. Auch er 
wünschte sich nicht öffentlich im Sinne des Kaisers zu engagieren. 
Erfreulich war, daß ich den kurzen Aufenthalt in München benutzen 
konnte, um uns endgültig mit Bayern über die leidige Frage der Militär- 
Strafprozeß-Reform zu verständigen. Der Prinzregent willigte in die Er- 
richtung eines bayrischen Senats mit dem Sitz in Berlin beim Obersten 
Militärgerichtshof. Dagegen räumten wir Bayern das Recht der Ernennung 
des Vorsitzenden wie der Mitglieder im Berliner Senat sowie des Militär- 
anwalts ein. Damit war diese Frage endlich geregelt, die zu vielen Empfind- 
lichkeiten Anlaß gab und sich schon viel zu lange hingezogen hatte und 
deren endliche Beilegung namentlich dem Fürsten Hohenlohe schr am 
Herzen lag. Der Kaiser, der in seinem Widerstand lange vom Chef des 
Militärkabinetts, General von Hahnke, bestärkt worden war, gab endlich 
nach, als ich ihm das italienische Sprichwort vorhielt: „Le cose lunge diven- 
tano serpe“ („Verschleppte Schwierigkeiten werden zu Giftschlangen‘“) 
und ihm schließlich diesen schönen Spruch auf einen Zettel schrieb. Es hing 
zusammen mit der raschen Auffassung und mit der Empfänglichkeit für 
Geist in jeder Form, zwei Eigenschaften, die Wilhelm II. in hohem Maße 
besaß, daß zugespitzte Zitate, Sprichwörter, für einen Fall passende Worte 
historischer Persönlichkeiten mehr Eindruck auf ihn machten als die 
längsten Denkschriften. 
Am 26. November trafen wir wieder auf der Wildparkstation in Potsdam 
ein, wohin die preußischen Minister mit dem Fürsten Hohenlohe an der 
Spitze zum Empfang befohlen worden waren. Der Kaiser hielt eine An- 
sprache an seine verfassungsmäßigen Berater, in der er eine begeisterte 
Schilderung nicht nur des ihm im türkischen Reiche gewordenen Empfangs, 
sondern vor allem der herrlichen Zustände in der Türkei gab. Er ging hierbei 
so weit, zu sagen, daß die Türkei mit dem unbedingten Gehorsam ihrer 
Bewohner gegenüber dem Sultan, in dem sie nicht nur ihren Souverän,
	        
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