Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER ZAUBERER 283 
Verlockende hätte. Im Falle, daß ich zurücktreten sollte, würde ich dem 
Kaiser als meinen Nachfolger den Fürsten Herbert Bismarck empfehlen, 
schon um dadurch den Schatten des großen Vaters zu versöhnen. Holstein, 
der seit : 1890 die Familie Bismarck fürchtete wie der Teufel das Weihwasser, 
faßte alsbald die Lage verständiger auf. Es gelang mir auch, sowohl Eng- 
land als Amerika für die Bildung einer Kommission zu gewinnen, welche die 
Aufgabe erhielt, die letzten unliebsamen Vorfälle zu untersuchen, die Ruhe 
wiederherzustellen und für die Neuordnung der Verwaltung wie des Ver- 
hältnisses unter den drei Mächten Vorschläge auszuarbeiten. So wurde eine 
für uns befriedigende Lösung vorbereitet, durch die wir schließlich nach 
längeren Verhandlungen die beiden Hauptinseln Upolo und Savaii in 
deutschen Besitz brachten. 
Aus der Reichstagsdebatte, die bei ziemlicher Aufregung nicht nur des 
Hauses, sondern weiter deutscher Kreise am 14. April 1899 stattfand, 
steht mir heute noch ein kleiner, aber immerhin bezeichnender Vorfall in 
Erinnerung. Während der Interpellant seine Anfrage entwickelte, sagte mir 
sotto voce der neben mir sitzende Tirpitz: eigentlich hätte es keinen 
Zweck, daß ich spräche. Es wäre ja klar, daß das Vorgehen der Engländer 
und Amerikaner auf den festen Willen hindeute, uns mit Krieg zu über- 
ziehen, um uns zugrunde zu richten, bevor unsere Flotte aus den Eier- 
schalen heraus sei. Andernfalls müsse man ja annehmen, daß sowohl John 
Bull wie Jonathan verrückt geworden wären. Diese Auffassung war be- 
zeichnend für die militärische Betrachtungsweise, die dazu neigt, die Rela- 
tivität der Dinge und der Menschen außer Rechnung zu stellen, die sich 
deshalb leicht in Extremen bewegt und so politisch zu falschen Schluß- 
folgerungen gelangt. Für die Betrachtung und Behandlung politischer 
Fragen ist die militärische Mentalität nicht elastisch genug. „Wenden 
können“ war eine Eigenschaft, die Fürst Bismarck in erster Linie von seinen 
Diplomaten verlangte. Ich erwiderte meinem Freunde Tirpitz, daß weder die 
Engländer noch die Amerikaner übergeschnappt wären. Sie hätten auch 
nicht die Absicht, einen Krieg mit uns vom Zaun zu brechen. Es handele 
sich um ein direktionsloses Vorgehen aufgeregter Konsuln und Marine- 
offiziere. Alle würden sich beruhigen, wenn wir nur nicht selbst die Nerven 
verlören. Die mehr in Deutschland als in England und Amerika entstandene 
und nicht ungefährliche Erregung flaute in der Tat nach einiger Zeit wieder 
ab. Samoa sollte noch fünfzehn Jahre unser koloniales Diadem als einer 
seiner schönsten Brillanten zieren. Als uns der Besitz von Samoa gesichert 
war, richtete Wilhelm II. an mich das nachstehende Telegramm: „Bravo! 
Bin hocherfreut und beglückt. Sie sind der reine Zauberer, den Mir ganz 
unverdienterweise der Himmel in seiner Güte bescherte.“ Im Auftrag des 
Deutschen Kolonialrats telegraphierte mir dessen Präsident, der Fürst zu
	        
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