DIE ANGST DER KAISERIN 295
den Sonderzug setzte, der ihn nach dem Neuen Palais zurückführen sollte,
in heftigen Worten den Kopf. Seitdem wurde Miquel noch unsicherer. Sein
intimer Freund, der freikonservative Abgeordnete Freiherr Oktavio von
Zedlitz, der in Parlamentskreisen wegen seines Hangs zur Intrige der
„Helldunkle‘“ hieß, ließ sich mit dem unzuverlässigen, aus Wien nach Berlin
verpflanzten Leibjournalisten von Miquel, Herrn Viktor Schweinburg, zu
allerlei Quertreibereien hinreißen, und nach heftigen Debatten siegten im
Abgeordnetenhaus die von dem Grafen Limburg-Stirum und Graf Bal-
lestrem, einem Konservativen und einem Zentrumsmann, geführten
Kanalgegner.
Die Erregung des Kaisers über diesen Schlag, den er, wie gewöhnlich, als
gegen sich persönlich gerichtet auffaßte, war groß. Er bombardierte mich,
der ich als Staatssekretär des Äußeren damals mit der Kanalvorlage nicht
das mindeste zu tun hatte, mit Telegrammen en clair, die von Injurien
namentlich gegen Stirum strotzten. Die Kaiserin, die als treue Gattin im
allgemeinen nicht nur die Nöte und Sorgen, sondern auch alle Gefühle ihres
Mannes teilte, aber in diesem Falle, da sie mit ihrem Herzen politisch rechts
orientiert war, unter dem Zorn des Kaisers gegen die Konservativen litt,
schrieb mir aus Wilhelmshöhe am 18. August 1899: „In meiner Angst
komme ich zu Ihnen. Gestern abend mußte ich den Kaiser in großer Auf-
regung und Betrübnis leider abreisen lassen, nach Metz und Saint-Privat.
Diese unglückselige Kanalvorlage! Wenn Sonnabend auch eine ungünstige
Entscheidung fällt, weiß ich nicht, was passiert. Ach, könnten Sie dem
Kaiser nicht einen etwas beruhigenden Brief schreiben? Es ist wirklich
nötig! Ich bin sehr unglücklich, nicht bei ihm jetzt sein zu können. Der
Arzt wollte das viele Reisen durchaus nicht für meinen Fuß, außerdem habe
ich hier ein krankes Kind, meinen kleinen Oskar. Ach, es ist ein schlimmer
Sommer gewesen. Gott helfe weiter. Ihre herzlich ergebene Viktoria.“
Schon im April 1899 hatte der Kaiser an den Minister des Innern, Herrn
von der Recke, ein Telegramm gerichtet, das diesen anwies, den Landräten
im Abgeordnetenhaus mit „‚Kassation“ zu drohen und mit Abbruch der
persönlichen Beziehungen zu Seiner Majestät, wenn sie nicht für die Kanal-
vorlage stimmten. Graf Limburg-Stirum sollte wegen seiner Opposition
gegen die Kanalvorlage aus der Liste der Geheimräte gestrichen werden.
„Den von den konservativen Parteien in grenzenloser Borniertheit und
junkerhaftem Übermut Mir hingeworfenen Fehdehandschuh werde Ich
aufnehmen.‘ Nicht ohne Grund klagte mir, der ich in Fragen der inneren
Politik noch nicht in der Feuerlinie stand, der Finanzminister Miquel
damals darüber, wie sehr ihm seine Stellung in der Kanalfrage durch die
Unmöglichkeit erschwert werde, Seiner Majestät klarzumachen, daß die
Konservativen als Partei nicht bloße Vollstrecker des königlichen Willens
Der Sieg
der Kanal-
rebellen