298 „DIE GROSSEN MEINES HOFES VERLASSEN MICH“
war die Wirkung eine andere, als der Oberstjägermeister Herzog von Pleß,
einer der reichsten und vornehmsten schlesischen Magnaten, seinen Ab-
schied mit der Motivierung einreichte, er sei ein Gegner des Kanals und
wolle nicht besser behandelt werden als seine Gesinnungsgenossen. Aus
demselben Grunde bat auch der Oberstkämmerer Fürst Hohenlohe-
Oehringen um Enthebung von seinem Amt. Nun wurde die Sache ernst.
Der Kaiser beschied mich sofort in das Neue Palais und empfing mich
sichtlich bestürzt mit den Worten: „Die Großen meines Hofes verlassen
mich.“ In dem darauffolgenden Gespräch erreichte ich, daß den bewähr-
testen unter den verabschiedeten Landräten für die Zukunft Wieder-
anstellung in Aussicht gestellt wurde. Den Herzog von Pleß versöhnte der
Kaiser dadurch, daß er seinen Schwiegersohn, den Fürsten Fritz Solms,
zum Oberstkämmerer an Stelle des Fürsten Hohenlohe-Oehringen ernannte.
Den letzteren hatte der Kaiser erst wenige Jahre vorher zur ersten preu-
Bischen Hofcharge ernannt, die seit alter Zeit nach dem preußischen Hof-
rangreglement mit dem Ministerpräsidenten und den Generalfeldmar-
schällen rangierte. Damals hatte der Kaiser dem Fürsten Christian Kraft
von Hohenlohe-Ochringen seine Ernennung in einem für ihn sehr schmeichel-
haften, warm gehaltenen Telegramm angekündigt. Nun hatte der Fürst,
der sich gerade in einem österreichischen Badeorte inkognito in Damen-
begleitung befand, er war unverheiratet, angeordnet, daß alle für ihn
bestimmten, in Berlin oder Slawentzitz, seinem schlesischen Schlosse,
anlangenden Telegramme nach jenem österreichischen Bade unter der
Adresse seines dort in seiner Begleitung befindlichen Kammerdieners nach-
telegraphiert werden sollten. So kam es, daß zum großen Erstaunen der
K.K. Telegraphenbeamten in Kaltenleutgeben bei Wien die nachstehende
Depesche eintraf: „Kammerdiener Hermann Schulze. In dankbarer Wür-
digung Deiner in Krieg und Frieden geleisteten hervorragenden Dienste
ernenne ich Dich zu meinem Oberstkämmerer. Wilhelm R.“ Die Kanal-
frage, die durch Fehler von allen Seiten verfahren worden war, wurde
von mir in späteren Jahren, während ich preußischer Ministerpräsident
war, in ein ruhiges Fahrwasser geleitet und befriedigend gelöst.