DIE DEUTSCHEN ENGLÄNDERINNEN 305
der Königin als auch bei ihrem Hofstaat die Absicht, den deutschen
Gästen die größte Liebenswürdigkeit zu zeigen. Zu berücksichtigen ist nur,
daß die geselligen Sitten hier viel freiere und von den unsrigen sehr ver-
schieden sind. Es kommt daher hier viel weniger auf den individuellen
Rang der einzelnen Persönlichkeit an, und ein Oberst oder General wird
nicht anders behandelt wie ein Leutnant, wenn man sich gegen den einen
oder anderen freundschaftlich erweisen will. Dies liegt in der landesüblichen
Sitte und durchaus nicht in böser Absicht. Wenn Eure Exzellenz darauf
einwirken können, daß die Umgebungen Seiner Majestät in dieser Hinsicht
keine unnötige Empfindlichkeit an den Tag legen, würde dies zum Erfolg
des Besuches wesentlich beitragen.“
Die Herzogin von Devonshire, frühere Herzogin von Manchester, war
eine geborene Deutsche, eine Gräfin Alten, Schwester des langjährigen
Flügeladjutanten Kaiser Wilhelms I. und Kommandeurs der Garde-
ducorps, Grafen Karl von Alten, der unter dem Namen „Chevalier“ in der
Berliner Gesellschaft der siebziger und achtziger Jahre eine bekannte
Persönlichkeit war. Von seinen Schwestern war die älteste mit dem rus-
sischen Gesandten in Brüssel, Grafen Bludow, verheiratet, die zweite die
Frau des hochverdienten, unter Kaiser Wilhelm I. sehr einflußreichen Chefs
des Militärkabinetts, des Generals von Albedyll. Die vierte Schwester hatte
nacheinander den Grafen August Grote auf Breese, meinen Vetter Detlev
von Bülow-Gorow und den Fürsten Luigi Colonna-Stigliano geheiratet. Sie
hat viel von sich reden gemacht. Die dritte Schwester heiratete in erster Ehe
den Herzog von Manchester, in zweiter den Herzog von Devonshire. Sie
hatte sich in England gesellschaftlich und politisch eine große Stellung
gemacht, sie stand dem Prinzen und der Prinzessin von Wales nahe, und ihr
Gatte hörte auf ihre Meinung und ihr Urteil. Der Earl of Lonsdale gehörte
wie Mr. Poultney-Bigelow, Herr von Koscielski, Fürst Albert von Monaco,
Fürst Max Fürstenberg, der Präsident Roosevelt, die französischen Gene-
räle Lacroix und Bonnal in die lange Reihe der Personen, für die Kaiser
Wilhelm II. heftig schwärmte, an denen er aber nicht viel Freude erlebt hat.
Bei unserer Landung in England, die am Vormittag des 20. November
erfolgte, empfing uns der Herzog vonConnaught, derdritte Sohn der Köni-
gin Victoria, ein vornebm denkender, liebenswürdiger, von freundlichen
Gefühlen für seinen Neffen, den Kaiser, wie für Preußen und Deutschland
erfüllter Prinz. Um so antideutscher war seine Gemahlin, eine Tochter des
Prinzen Friedrich Karl von Preußen. Ich frug einmal gelegentlich den
Kaiser, was seine Kusine und Tante, die Herzogin Louise von Connaught,
sagen würde, wenn bei einem englischen Hoffest oder einer distinguierten
Garden party ein preußischer General sich ihr nähern und ihr seine Freude
ausdrücken würde, vor der Tochter des Siegers von Düppel, von Königgrätz
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Landung in
England