Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

312 GLEICHMUT EMPFOHLEN 
gesprochen, daß man ihm deutscherseits gelegentlich der Anwesenheit Eurer 
Majestät in England mit unerfüllbaren Zumutungen kommen werde. Um so 
größeren Eindruck wird es ihm machen, wenn Eure Majestät nicht den 
Wunsch aussprechen, ihn in besonderer Audienz zu empfangen, sondern ihn 
bei gelegentlicher Begegnung in Windsor oder Osborne mit unanfechtbarer 
Höflichkeit, aber mit alltäglichen Redensarten, Erkundigung nach dem 
Befinden seiner Frau u. dgl., in ziemlich kurz bemessener Frist abspeisen. 
Daß Lord Salisburys guter Wille heute keine notwendige Voraussetzung 
erfolgreicher Verhandlungen mehr ist, beweist das Samoa-Abkommen, zu 
dem er wider seinen Willen durch die von uns ausgenutzte politische Kon- 
junktur und durch Herrn Chamberlain hingedrängt worden ist. Dieselbe 
Zurückhaltung bei größter Liebenswürdigkeit in der Form empfiehlt sich 
Herrn Chamberlain gegenüber, wenn auch aus einem ganz verschiedenen 
Grunde. Herr Chamberlain wird die Lage brüskieren und Eure Majestät 
allerdings auch gegen nennenswerte Konzessionen seinerseits, stante pede 
zu festen Versprechungen mit gegen Rußland gerichteter Spitze drängen 
wollen. Wenn Eure Majestät Herrn Chamberlain, falls er nicht zu dämpfen 
ist, höflich anhören und ihm dann erwidern, daß die Anregung ernste Er- 
wägung verdient und Eure Majestät ihr give your full attention werden, 
zweifle ich nicht, daß die Gegenleistungen, mit welchen Herr Chamberlain 
die diplomatische Mitwirkung Deutschlands und sogar schon dessen feste 
Neutralität zu bezahlen bereit ist, in demselben Maße sich steigern werden, 
wie Eure Majestät ruhigen Gleichmut und Mangel an Empressement er- 
kennen lassen. Nachdem die Sondierungen der Minister ergebnislos ge- 
blieben sind, wird wahrscheinlich S. K.H. der Prinz von Wales oder vielleicht 
auch Ihre Majestät die Königin Allerhöchstselbst die Frage berühren, wo 
und wie etwa Deutschland und England würden politisch zusammenwirken 
können. Gerade hier würde es dann, nach meinem alleruntertänigsten 
Dafürhalten, von weittragender Bedeutung für Deutschlands politische 
Zukunft sein, daß Eure Majestät sich auf gar nichts Positives einlassen, 
keinerlei Einblick in Allerhöchstdero eigene Pläne gestatten und sich ledig- 
lich darauf beschränken, den Gedanken zu variieren: Bei der heutigen Lage 
ist meine Neutralität für die Zwecke der englischen Politik genügend, und 
diese Neutralität besteht ja zur Zeit als allgemein erkennbare Tatsache. 
Gewiß kann die politische Lage sich von einem zum anderen Tage ver- 
schieben, und ich kann mir Fälle denken, wo Deutschland und England es 
ihren respektiven Interessen entsprechend erachten, der Gleichartigkeit 
ihrer Interessen einen entschiedeneren Ausdruck zu geben; ein solcher Fall 
liegt aber heut nicht vor. Aus dieser Äußerung Eurer Majestät wird man in 
England ersehen, daß Eure Majestätnicht beabsichtigen, Sich aufden ersten 
Wink hin anzubieten, sondern daß man den ersten Schritt tun und mehr 
 
	        
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