Gespräch
Bülows mit
Chamberlain
XX. KAPITEL
Unterredung mit dem Kolonialminister Chamberlain - Wilhelm II. und Chamberlain
Balfour - Lansdowne - Der Herzog von Devonshire - Goschen - Audienz bei der Königin
Victoria « Chamberlains Allianzvorschlüge: Für uns notwendige Bürgschaften
m 22. November erhielt ich in Windsor den Besuch des englischen
Botschafters in Berlin, Sir Frank Lascelles. Er las mir einen Brief des
Premierministers Lord Salisbury vor, in dem es hieß: Lord Salisbury be-
dauere lebhaft, mich nicht sprechen zu können. Er erinnere sich mit Ver-
gnügen, mich als jungen Diplomaten während des Berliner Kongresses im
Hause meiner Eltern in Berlin gesehen zu haben. Ersei aber an das Kranken-
und voraussichtlich Sterbebett von Lady Salisbury gefesselt, die er jetzt
nicht verlassen könne (Lady Salisbury starb in der Tat einige Tage später).
Ich würde, hieß es weiter in dem Brief des Premierministers, statt seiner
den Kolonialminister Chamberlain sehen. Dieser sei ein geistreicher und
bedeutender Mann, aber er spräche nur in seinem eigenen Namen,
nicht für das Kabinett. Als er mir den Brief des Premierministers vor-
las, akzentuierte Sir Frank Lascelles die Wendung, daß die Äußerungen
und Vorschläge des Kolonialministers den Premier und das Kabinett nicht
engagierten.
Am Nachmittag empfing ich den Besuch des Kolonialministers. Joseph
Chamberlain war damals dreiundsechzig Jahre alt, ich würde ihm aber
nicht mehr als fünfzig gegeben haben. Sein jugendliches Äußeres war um so
bemerkenswerter, als er im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute
keinen Sport trieb, weder Golf noch Lawn-Tennis, weder hunting noch
yachting noch footing, und dabei sehr lange und sehr schwere Havanna-
zigarren rauchte. Er war von mittlerer Größe. Ein länglicher Kopf, ein
glattes, vo!lständig rasiertes Gesicht, eine schöne und stolze Stirn, eine
kecke Nase, kalte Augen. Selbst in England, wo jeder auf guten Anzug
hält und Disraeli in einem seiner Romane einem rising young man durch
einen erfahrenen Alten raten läßt, vor allem sich an die besten Schneider
zu halten, fiel Chamberlain durch den eleganten Schnitt seines Cutaways
wie seines abendlichen Fracks auf, durch die schöne Orchidee im Knopfloch,
durch sein goldeingefaßtes Monokel. Als er ihn zum erstenmal im House of