BALFOUR 317
machen wolle. Es sei vom Kaiser ein Beweis nicht nur politischer Einsicht,
sondern auch politischer Charakterstärke gewesen, daß er trotz der in
Deutschland wie in allen anderen Ländern und namentlich in Frankreich
herrschenden Sympathie für die Buren gerade jetzt die Reise nach England
unternommen habe. Ich würde allen Angriffen gegen diese Reise wie gegen
unsere für England durchaus freundliche Politik im Reichstag und anderswo
unentwegt entgegentreten. Aber Zwischenfälle, die unnötig in Deutschland
gegen England reizen könnten, müßten gerade jetzt vermieden werden.
Wir kämen nur zum Ziel, wenn das deutsche Volk und die deutsche öffent-
liche Meinung nicht in brüsker Weise, sondern allmählich, suaviter in modo,
mit den Vorteilen einer deutsch-englischen Verständigung und weiteren
und intimen Annäherung vertraut gemacht würde.
Diese Unterredung zwischen Chamberlain und mir wurde in freund-
lichstem Tone geführt. Kaiser Wilhelm hatte schon nach dem Bankett vom
21. November mit Mr. Chamberlain eine längere Unterredung gehabt. Auf
die Bemerkung des Kolonialministers, daß er eine generelle Verständigung
zwischen Deutschland, England und Amerika wünsche, hatte der Kaiser
erwidert, ein solches allgemeines Zusammengehen habe für beide Teile
seine Bedenken. Während es den englischen Traditionen nicht entspräche,
formale Bündnisse abzuschließen, seien Deutschland durch seine vortreff-
lichen Beziehungen zu Rußland, wenigstens bis auf weiteres, bestimmte
politische Grenzen gezogen. Es gäbe jedoch eine Menge Punkte, über welche
sich Deutschland und England von Fall zu Fall verständigen könnten.
Beide Länder sollten weiter den bereits in zwei Fällen mit Vorteil einge-
schlagenen Weg besonderer Abmachungen (Agreements) verfolgen. Der
Kaiser fügte hinzu, daß es im englischen Interesse liege, den nun einmal
empfindlichen, rechthaberischen und eher sentimental angelegten Deutschen
mit Vorsicht zu behandeln, ihn auch nicht ungeduldig zu machen, sondern
ihm selbst in Kleinigkeiten guten Willen zu zeigen. Der Deutsche sei
„touchy“‘; je mehr dies von englischer Seite berücksichtigt würde, um so
nützlicher für das Verhältnis zwischen beiden Ländern. Mr.Balfour und der
Kriegsminister Lord Lansdowne, die ich später sah, drängten weniger zu
einem engeren Anschluß als Mr. Chamberlain. Beide standen dem Gedanken
einer generellen deutsch-englischen Allianz offenbar weit kühler gegenüber.
Balfour erschien mir als Typus eines vornehmen englischen Staatsmannes.
Aus altem schottischem Geschlecht, durch seine Mutter, die der Familie
Cecil entstammte, die England große Parlamentarier und Minister gegeben
hat, war er ein Neffe des Premierministers Salisbury. In Eton erzogen,
Student in Cambridge, schon in jungen Jahren ein durch Geist und Witz
ausgezeichnetes Mitglied des Unterhauses, nachdem er schon mit zwölf
Jahren seine erste Rede auf einem Meeting in East-Lothian gehalten hatte,
Wilhelm II.
zu
Chamberlain