Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER GÄHNENDE HERZOG VON DEVONSHIRE 319 
sehr deutschfeindliche Times-Korrespondent in Berlin, Mr. Saunders, sich 
ein Vergnügen daraus mache, auch aus den obskursten deutschen Blättern 
jede taktlose Äußerung über England herauszufischen und noch an dem- 
selben Tag dem englischen Publikum in zugespitzter Form zur Kenntnis 
zu bringen. Mr. Balfour bestritt nicht die gehässig antideutsche Haltung 
des leitenden englischen Blattes, erklärte sich aber bereit, wenigstens in der 
Vertretung der Times in Berlin einen Wechsel herbeizuführen. Er sprach 
von Frankreich im Tone mitleidiger Geringschätzung, bestritt das Vor- 
bandensein unüberbrückbarer Gegensätze zwischen England und Rußland, 
da Asien für beide groß genug wäre, zeigte sich jedoch besorgt wegen des, 
wie er glaube, nahe bevorstehenden Zerfalls der habsburgischen Monarchie. 
Er warf den Gedanken hin, daß in diesem Fall die Deutschösterreicher sich 
wohl an das Deutsche Reich anschließen würden. Ich entgegnete, daß dies 
im Effekt auf eine Rückkehr zu dem Status quo ante 1866 herauskommen 
würde, für dessen Beseitigung Preußen einen blutigen Krieg geführt habe. 
Wir wünschten den Fortbestand der österreichisch-ungarischen Monarchie, 
schon weil sonst die ganze Balkanhalbinsel dem russischen Einfluß ver- 
fallen würde. Kaiser Wilhelm sagte an Balfour, den er am Abend des 22. No- 
vember empfing, daß er nicht als „bittender Vetter“ in England erscheine, 
wohl aber herzlich und aufrichtig wünsche, ruhige, durch Zwischenfälle 
ungestörte Beziehungen zum Britischen Reich aufrechtzucrhalten. 
Lord Lansdowne galt für franzosenfreundlich, weil seine Mutter Franzö- 
sin war. Mir erschien seine Denkweise sachlich und verständig. Das englische 
Nationalgefühl ist übrigens viel zu stark und der englische Stolz zu groß, 
als daß irgendeine fremde Blutmischung, sei es von seiten der Mutter, sei 
es durch die Ehe, die Empfindungen eines Briten beeinträchtigen könnte. 
Der Herzog von Devonshire, der mir als alter Freund meiner Schwieger- 
mutter besonders liebenswürdig entgegentrat, war der wahre Typus des 
englischen Grandseigneurs, dem seine Jagden und Pferde im Grunde wich- 
tiger sind als alle politischen Kombinationen, der aber doch Politik mit 
englischem Common-sense betreibt und in der festen Überzeugung, die aus 
dem traditionellen Stolz des Engländers entspringt, daß England im letzten 
Ende allen anderen Mächten überlegen sei und nichts ernstlich zu fürchten 
habe. Als Beweis für den unerschütterlichen Gleichmut des Herzogs von 
Devonshire erzählte mir König Eduard gelegentlich den nachstehenden 
kleinen Zug: Solange der Vater des Herzogs lebte, war der nachmalige 
Herzog von Devonshire als Marquess of Hartington Führer der Whigs im 
Unterhause. Als solcher hielt er während einer langwierigen Diskussion 
eine gleichfalls sehr langweilige Rede, im Laufe derer er plötzlich tief zu 
gähnen anfing. „Er gähnte über seine eigene Langeweile‘, meinte der 
künftige König Eduard hierzu, „aber nachdem er sich ausgegähnt hatte,
	        
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