SZYLLA UND CHARYBDIS 325
Der Gesamteindruck, den ich aus meiner Unterredung mit Hatzfeldt
empfing, war, daß er ein Bündnis mit England mit festen Sicherungen und
ungefähr gleichen Verpflichtungen für eine gute Sache, eine Allianz ohne
solche Garantien und Voraussetzungen für sehr gefährlich hielt. Hinsichtlich
der allgemeinen Weltlage war er der Ansicht, daß wir unser Staatsschiff
mit einer vorsichtigen und geschickten Politik an Klippen und Sandbänken
vorbeisteuern müßten, bis Wandlungen der europäischen Lage, die ja nie
ausblieben, eine bessere Fahrt in ruhigen Gewässern gestatteten. Er
drückte mir das Vertrauen aus, daß es mir gelingen würde, uns an der
Szylla und Charybdis vorbeizubringen. Wir hätten jetzt nur ein primäres
Interesse: den Frieden zu erhalten, denn die Zeit laufe für uns. Graf Hatz-
feldt war erfreut, sich mündlich mit mir aussprechen zu können. Schrift-
lich und selbst brieflich könne man nicht alles sagen, da sowohl der Kaiser
wie „unser guter Holstein“ nicht immer Maß hielten, gar zu impressionabel
wären und bald in der einen, bald in der anderen Richtung über das Ziel
hinausschössen. Ich schiene, fügte er zu meiner Freude hinzu, gute Nerven
und ein ruhiges Urteil von meinem Vater geerbt zu haben, zu dessen nächsten
Mitarbeitern er viele Jahre gehört hätte.
Die Verhandlungen über ein deutsch-englisches Bündnis habe ich auch
später, als Reichskanzler, nach den gleichen Gesichtspunkten geführt, die
für mich als Staatssekretär maßgebend gewesen waren und welche die volle
Billigung des Fürsten Hohenlohe gefunden hatten. Wir mußten sicher sein,
daß das ganze Kabinett und vor allem der Premierminister bona fide und
mit innerlicher Überzeugung für ein solches Bündnis sich einsetzen würden.
Wir mußten sogar wünschen, daß sich die Opposition, wenigstens im Prinzip,
mit einer deutsch-englischen Allianz einverstanden erkläre. Denn andern-
falls lag die Gefahr vor, daß sich England im Falle kriegerischer Verwick-
lungen durch einen Kabinettswechsel der Fessel des Bündnisses entzog,
sofern ihm dieses erwünscht oder bequem erschien. Wir mußten darauf be-
stehen, daß, wenn wir die Einbeziehung der englischen Kolonien, insbe-
sondere des Kaiserreichs Indien mit seinen dreihundert Millionen Ein-
wohnern und seinen gegen Norden exponierten Grenzen, in das Bündnis
zugäben, England seinerseits einen Angriff der Russen gegen Österreich
oder der Franzosen gegen Italien als Casus belli anerkennen würde. Dem
Fürsten Hohenlohe war von Lord Salisbury mit Unrecht einseitige Vorliebe
für Rußland nachgesagt worden. Eine so einseitige Betrachtungsweise lag
dem Fürsten ebenso fern wie mir. Wie ich, schätzte auch er den Vorteil
freundschaftlicher Beziehungen zu England sehr hoch und betrachtete ein
gutes Verhältnis zu England seit dem Beginn unserer Flottenbauten als
doppelt wünschenwert. Er erfreute sich übrigens der besonderen Zuneigung
der Königin Victoria wie ihrer Tochter, der Kaiserin Friedrich. Ich habe
Die Frage
des deutsch-
englischen
Bündnisses