Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE DEUTSCHEN POSTDAMPFER 331 
brutale Beschlagnahme der deutschen Postdampfer „Bundesrat“, „„Gene- 
ral‘‘ und „Herzog“ von der deutschen Ostafrika-Linie im kritischen Mo- 
ment von englischer Seite Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden. 
Von englischer Seite ist mir später gesagt worden, jene Beschlagnahme 
wäre auf Intrigen der Buren zurückzuführen, die durch anonyme Denun- 
ziationen die englischen Lokalbehörden in Südafrika dazu verleitet hätten. 
Ich glaube nicht, wie Holstein gelegentlich argwöhnte, daß Chamberlain 
niemals ernsthaft an nähere Beziehungen zu uns gedacht, sondern solche 
nur an die Wand gemalt habe, um die Franzosen und Russen einzu- 
schüchtern und uns, namentlich gegenüber Rußland, zu kompromittieren. 
Wohl aber glaube ich, daß Chamberlain, entsprechend seiner rücksichts- 
losen Art, uns in dem Augenblick an sich zu ketten suchte, wo ihm das zur 
Erleichterung der eigenen Stellung nützlich erschien, überzeugt, daß er bei 
veränderter Weltlage sich ohne größere Schwierigkeiten wieder von der 
Fessel früherer Zusagen werde befreien können. Die Italiener haben ein 
treffliches Sprichwort: ‚Passato il pericolo, gabbato il santo.‘ (Ist die Gefahr 
vorüber, so pfeift man auf den Heiligen, der vorher angerufen wurde.) 
Graf Hatzfeldt führte vom Herbst 1899 bis zum Sommer 1901 die Ver- 
handlungen weiter, insbesondere mit Lord Lansdowne, die von englischer 
Seite immer wieder und ausdrücklich als akademische, vertrauliche und 
rein persönliche bezeichnet wurden. Berlin verharrte auf dem Standpunkt, 
daß, wenn Großbritannien und seine Kolonien, inklusive Indien und Ka- 
nada, als ein Ganzes behandelt würden, auch der Dreibund als ein Ganzes 
zu betrachten sei, so daß also der Bündnisfall einträte, wenn Großbri- 
tannien, das Mutterland, oder irgendeine der britischen überseeischen 
Besitzungen, oder wenn der Dreibund durch irgendeinen Angriff auf eine 
der Dreibundmächte sich zur Verteidigung genötigt sähe. Das entsprach 
übrigens den Bismarckschen Traditionen und dem Geiste der Bismarck- 
schen Politik. Ich kann mir denken, daß im äußersten Notfall Bismarck 
sich mit Rußland auf Kosten von Österreich arrangiert haben würde. Aber 
ich kann mir nicht denken, daß Fürst Bismarck, noch dazu nach Zer- 
reißung des Bandes, das uns zu seiner Zeit durch den Rückversicherungs- 
vertrag mit Rußland verknüpfte, die Festigkeit und Effikazität unseres 
Bündnisses mit der habsburgischen Monarchie in das Belieben von England 
gestellt haben würde. Es lag auf der Hand, daß, wenn Österreich nicht in 
das deutsch-englische Bündnis einbezogen wurde, nicht Deutschland, 
sondern England den ausschlaggebenden Einfluß in Wien gewann. Dann 
trat jener Fall ein, vor dem Fürst Bismarck in seinem bekannten Gespräch 
mit dem Historiker Sybel gewarnt hatte: nämlich, daß England in jedem 
ihm passenden Augenblick uns im Stich lassen könnte, wir aber ihm nicht 
nur zur Verteidigung, sondern auch zum Kampf gegen Rußland folgen 
Verhand- 
lungen bis 
Sommer 1901
	        
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