Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER „SCHWEINEHUND"“ 339 
schaftsmaler im großen wären, ja fast die einzigen eigentlichen Künstler der 
englischen Nation. Der Prinz und die Prinzessin von Wales waren die 
liebenswürdigsten Wirte, auch darin, daß für jeden gesorgt war, olıne daß 
sich irgendeiner in der Freiheit und Unabhängigkeit seiner Bewegung 
geniert fühlte. Gewiß, mußte man sich morgens zum ersten Frühstück ein- 
finden und dort Bacon with Eggs, Porridge and Jams essen und Sonntags 
dem Divine service beiwohnen, aber im übrigen konnte jeder Gast machen, 
was er wollte. In dem schönen Marstall stand ein berühmter Hengst, 
dessen Name mir zu meinem Bedauern entfallen ist, der aber für den Prin- 
zen in verschiedenen siegreich von ihm gelaufenen Rennen fast eine Million 
Mark gewonnen hatte, mit denen die herrlichen Treibhäuser in Sandring- 
ham erbaut worden waren. Eine Sehenswürdigkeit war auch der Kennel, 
in dem alle möglichen Hundearten sich bei bester Pflege ihres Daseins 
erfreuten. In der Kapelle erinnerten Gedenktafeln an verstorbene Diener 
und Beamte des Prinzen von Wales, darunter auch deutsche Namen. 
Eduard VII. ist oft falsch beurteilt worden. Den einen, namentlich deut- 
schen moralisierenden Beobachtern, erschien er als ein frivoler Lebemann, 
der keines ernstenGedankens fähig wäre und von demsich ehrbare Familien- 
väter möglichst fernhalten müßten. Bei dem ersten Besuch, den Wilhelm II. 
nach seiner Thronbesteigung in England abstattete, hatte, sobald der Kai- 
ser mit seinem Oheim ein Gespräch anknüpfte, der sittenstrenge Oberhof- 
meister der Kaiserin Freiherr von Mirbach ingrimmig gemurmelt: „Nun 
bekommt der Schweinhund wieder Oberwasser.‘“ Andere Deutsche sahen 
in dem ältesten Sohn der Königin Victoria einen tiefen Politiker aus der 
Schule des Macchiavelli, der Tag und Nacht darüber nachdenke, wie er die 
Welt in Flammen setzen und Deutschland zerstören könne. Die eine Auf- 
fassung ist so töricht wie die andere. Eduard VII. war ein Mann mit viel 
natürlichem Verstand, mit sehr viel Takt, mit sehr guten Formen. Er war 
immer Herr seiner selbst. Er brüskierte niemanden, ließ sich aber auch von 
niemand ausbeuten. Er hatte wenig aus Büchern, aber sehr viel durch das 
Leben gelernt, das er von allen Seiten, in allen Schattierungen, in Höhen 
und Tiefen kannte. Da er gesehen hatte, daß sein tugendhafter Vater, der 
Prinz Albert, trotz seiner Tugenden oder vielleicht gerade deshalb in 
England für einen steifen Deutschen gegolten hatte und nie wirklich populär 
geworden war, so vermied er, was ihm auf irgendeinem Gebiet als Pedan- 
terie ausgelegt werden konnte, beobachtete aber um so strenger alle jene 
englischen Konventionen, vor denen sich der Engländer fast ebenso tief 
beugt wie vor religiösen Gebräuchen. So konnte schon über den Prinzen 
von Wales von einem englischen Staatsmann das tiefe Wort geprägt wer- 
den: „Prinz Albert war unbeliebt, weil er alle Tugenden besaß, die dem 
Engländer bisweilen fehlen. Der Prinz von Wales ist beliebt, weil er alle 
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Eduard VII.
	        
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