340 DER ERSTE GENTLEMAN
Fehler bat, die dem Engländer nachgesagt werden.“ Es war der Earl of
Granville, der dies sagte, derselbe, der die Kaiserin Friedrich mit den
treffenden Worten charakterisierte: „She is clever, but she is not wise.“
Der Prinz von Wales hat nach seiner Thronbesteigung mehr realen
politischen Einfluß ausgeübt als die meisten seiner Vorgänger. Aber als
einmal ein biederer Squire in einer ihn schr bewegenden politischen Frage
sich nach der Meinung des Königs erkundigte, um die seinige danach einzu-
richten, ließ der König durch seinen Privatsekretär antworten: der König
habe über alle politischen Fragen und in allen politischen Angelegenheiten
immer nur die Ansicht, die seine Minister im Parlament verträten. Der
künftige Eduard VII. war auch darin ganz Engländer, daß er hohen Wert
auf einen tadellosen Anzug legte. Man konnte mit Recht von ihm sagen,
daß er in dem Lande, in dem sich ohne Frage die Herren am besten an-
zichen, der bestangezogene Gentleman war. Uniform stand ihm nicht
besonders, der steife und enge Kragen seiner preußischen Regimenter
genierte ihn. Aber Zivilkleidung haben seit Georg IV. und dessen Freund
Brummel wenige Männer besser getragen. Auch hierin war der Prinz von
Wales sehr verschieden von seinem Neffen, dem Kaiser. Dieser sah im
schmucken schwarzen Attila unserer Leibhusaren, der tapferen Totenkopf-
husaren, sehr gut aus, in dem weißen Koller seines herrlichen Garde-
ducorps-Regiments entzückte er namentlich im Süden Frauen und Männer.
Zivil stand ihm nicht und wußte er nicht zu tragen. Dagegen inspirierte
sein Oheim große Schneider in London, in Paris und Wien. Er nahm
Toilettenfragen sehr ernst, er kreierte neue Moden wie den Homburg-Hat
und die Bügelfalte. Wenn in Deutschland hierüber bisweilen Spott laut
wurde, so war dies ein Ausfluß deutscher Spießbürgerlichkeit und politisch
einfältig. Daß England für Herrenmoden ebenso souverän den Ton angab
wie Paris für die Mode der Frauen, förderte das englische Prestige, dem der
Prinz von Wales diente, wenn er auf diesem Gebiete der unbestrittene
Arbiter elegantiarum in Europa und in der Welt war. Ich möchte übrigens
andererseits hervorheben, daß sich während unseres Besuchs in Sandring-
ham unter den Eingeladenen auch einer der gelehrtesten Engländer,
Lord Acton, ein Vetter meiner Schwiegermutter, befand, der noch im
hohen Alter als Peer of England Vorlesungen in Oxford hielt. Er erfreute
sich der besonderen und freundschaftlichen Verehrung des Prinzen von
Wales.
Der Prinz interessierte sich lebhaft für das, was in Deutschland an den
ihm verwandten Höfen, also namentlich in Darmstadt, Koburg und Berlin-
Potsdam, vorging. Er schätzte die deutsche Arbeitskraft, das deutsche
Pflichtgefühl, die deutsche Biederkeit, die deutsche Akkuratesse, wenn
auch ohne den Trieb, diese Tugenden selbst auszuüben. Aber er sah wie