Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

SOZIALDEMOKRATEN FÜSILIEREN UND VERBANNEN 349 
boten, saßen wir alle fröhlich beisammen in dem großen Eßsaal, wo das 
Frühstück eingenommen wurde, ich neben dem Kaiser, rechts Prinz Albert 
Holstein, neben mir Konsul Jenssen. Die Wolffschen Depeschen regten den 
Kaiser sehr auf. Er faßte die Arbeiterunruhen sehr ernst auf — und voller 
Befriedigung. ‚Das ist recht‘, meinte er, ‚nur immer zu! Der Augenblick 
kommt, wo man handeln muß. Ich lasse mich davon auch durch nichts, 
auch nicht durch das Ministerium abhalten, welches einfach fliegt, wenn es 
nicht mitgeht. Sei so gut und lies meine gedruckt erschienenen Reden seit 
meinem Regierungsantritt. Du wirst deutlich sehen, daß ich zuerst im 
guten, nachher mit Ernst das deutsche Volk auf die Gefahren aufmerksam 
gemacht habe, die ihm im Innern drohen. Der deutsche Bürgerstand ver- 
sagt vollkommen! Die Regierung muß handeln, sonst geht alles verloren. 
Wenn bei einem ernsten Konflikt nach außen die Möglichkeit gegeben ist, 
daß die Hälfte der Armee durch einen Generalstreik im Lande gefesselt 
ist, so sind wir verloren. Und bei dem letzten Hamburger Generalstreik 
hat bereits England seine Hand im Spiel gehabt. Der Versuch ist ihm nicht 
übel gelungen. Es ist daher an der Zeit, einzuschreiten. Ich habe mich 
bereits informiert, wie weit meine militärischen Befugnisse gegenüber der 
Staatsverfassung reichen. Es hat der Kriegsminister mir gesagt, 
daß ich jederzeit den Belagerungszustand über das ganze Reich er- 
klären kann (!!!). Ehe nicht die sozialdemokratischen Führer durch 
Soldaten aus dem Reichstag herausgeholt und füsiliert sind, ist keine Besse- 
rung zu erhoffen. Wir brauchen ein Gesetz, wonach es genügt, Sozial- 
demokrat zu sein, um nach den Karolinen verbannt zu werden.‘ Ich gebe 
Dir ziemlich wörtlich wieder, was Seine Majestät mir bei Tisch sagte. 
Die Nachbarn hörten viel davon, wahrscheinlich auch die aufwartenden 
Matrosen, die hinter dem Stuhl des Kaisers stehen. Doch hörten sie nicht 
alles, weil Seine Majestät die schlimmsten Dinge leise sprach. Ich erwiderte 
dem Kaiser, daß der Belagerungszustand doch wohl undenkbar sei ohne 
zwingende Gründe. Seine Majestät sagte, daß Gründe gar nicht erforderlich 
seien — aber daß sich bei der zunehmenden Unruhe der Arbeiterwelt 
jederzeit Gründe finden würden. Das war gestern. Heute, während einer 
Partie zu dem neuen Luftkurort, der auf den Bergen von Trondhjem an- 
gelegt ist, wurde bei Tisch die Unterhaltung weiter fortgesponnen. Es wurde 
hierbei behauptet, daß man auf Plünderungen hoffe und man alsdann, 
aber erst nachdem ein paar hundert bürgerliche Geschäfte zerstört seien, 
einen sehr starken Aderlaß geben müsse. Ich sagte nur, daß die Organisation 
der Sozialdemokratie zu gut sei, um jetzt gerade Plünderungen in Berlin 
oder anderen großen Städten zu machen. ‚Da bleibt eben nichts anderes 
übrig, als den allgemeinen Belagerungszustand zu proklamieren‘, war die 
Antwort des Kaisers. Senden war geschickt genug, Albert Holstein in ein
	        
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