Flotsenvorlage
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errichtung des Reiches der nationale Gedanke in der Verfinsterung be-
griffen sei, schon damals hatte er den Reichstag ermahnt, den nationalen
Gedanken leuchten zu lassen über Deutschland.
In der Rede, die ich am 11. Dezember 1899 im Reichstag zur 2. Flotten-
vorlage hielt*, sagte ich: „Meine Herren, die letzten Jahrzehnte haben viel
Glück und Macht und Wohlstand über Deutschland gebracht. Glück und
steigender Wohlstand des einen pflegen bei den anderen nicht immer reine
Befriedigung hervorzurufen, das kann auch Neid erwecken. Der Neid spielt
im Leben des einzelnen und im Leben der Völker eine große Rolle. Es ist
viel Neid gegen uns in der Welt vorhanden, politischer Neid und wirtschaft-
licher Neid. Es gibt Individuen, und es gibt Interessentengruppen, und es
gibt Strömungen, und ces gibt vielleicht auch Völker, die finden, daß der
Deutsche bequemer war und daß der Deutsche für seine Nachbarn ange-
nehmer war in jenen früheren Tagen, wo trotz unserer Bildung und trotz
unserer Kultur die Fremden in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht
auf uns herabsahen wie hochnäsige Kavaliere auf den bescheidenen Haus-
lehrer. Diese Zeiten politischer Ohnmacht und wirtschaftlicher und politi-
scher Demut sollen nicht wiederkehren. Wir wollen nicht wieder, um mit
Friedrich List zu sprechen, die Knechte der Menschheit werden. Wir
werden uns aber nur dann auf der Höhe erhalten, wenn wir einsehen, daß es
für uns ohne Macht, ohne cin starkes Heer und eine starke Flotte keine
Wohlfahrt gibt. Das Mittel, in dieser Welt den Kampf ums Dasein durch-
zufechten obne starke Rüstung zu Lande und zu Wasser, ist für ein Volk
von bald sechzigMillionen, das die Mitte von Europa bewohnt und gleichzeitig
seine wirtschaftlichen Fühlhörner ausstreckt nach allen Seiten, noch nicht
gefunden worden. In dem kommenden Jahrhundert wird das deutsche
Volk Hammer oder Amboß sein.“ Wurde dieser Hinweis auf die Vergangen-
heit, auf unsere geographische Lage, auf die Leidensgeschichte des deutschen
Volks vom Reichstag, wurde er im Volke verstanden ? Als ich davon sprach,
daß der Fremde einst auf uns herabgesehen habe wie ein hochnäsiger Kava-
lier auf den bescheidenen Hauslehrer, entstand im Hause die Heiterkeit
verständnisloser Unbildung, obschon die Mentalität des Auslands gegen-
über dem Deutschen früherer Jahrhunderte nicht prägnanter gekennzeich-
net werden konnte. Und wie sieht seit unserem Zusammenbruch und der
Novemberrevolution, seit 1918, der Fremde wieder herab auf unser einst
so glückliches und stolzes Volk! „„Comme je vous plains“, sagte mir nach
meiner Rückkehr nach Rom 1920 ein deutschfreundlich gebliebener alter
italienischer Freund, „de voir votre pays tombe& si bas.“
Am letzten Tage des alten Jahrhunderts erhielt ich von König Karl von
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe I, 5. 88; Kleine Ausgabe I, S. 96.