Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Flotsenvorlage 
356 HAMMER ODER AMBOSS 
errichtung des Reiches der nationale Gedanke in der Verfinsterung be- 
griffen sei, schon damals hatte er den Reichstag ermahnt, den nationalen 
Gedanken leuchten zu lassen über Deutschland. 
In der Rede, die ich am 11. Dezember 1899 im Reichstag zur 2. Flotten- 
vorlage hielt*, sagte ich: „Meine Herren, die letzten Jahrzehnte haben viel 
Glück und Macht und Wohlstand über Deutschland gebracht. Glück und 
steigender Wohlstand des einen pflegen bei den anderen nicht immer reine 
Befriedigung hervorzurufen, das kann auch Neid erwecken. Der Neid spielt 
im Leben des einzelnen und im Leben der Völker eine große Rolle. Es ist 
viel Neid gegen uns in der Welt vorhanden, politischer Neid und wirtschaft- 
licher Neid. Es gibt Individuen, und es gibt Interessentengruppen, und es 
gibt Strömungen, und ces gibt vielleicht auch Völker, die finden, daß der 
Deutsche bequemer war und daß der Deutsche für seine Nachbarn ange- 
nehmer war in jenen früheren Tagen, wo trotz unserer Bildung und trotz 
unserer Kultur die Fremden in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht 
auf uns herabsahen wie hochnäsige Kavaliere auf den bescheidenen Haus- 
lehrer. Diese Zeiten politischer Ohnmacht und wirtschaftlicher und politi- 
scher Demut sollen nicht wiederkehren. Wir wollen nicht wieder, um mit 
Friedrich List zu sprechen, die Knechte der Menschheit werden. Wir 
werden uns aber nur dann auf der Höhe erhalten, wenn wir einsehen, daß es 
für uns ohne Macht, ohne cin starkes Heer und eine starke Flotte keine 
Wohlfahrt gibt. Das Mittel, in dieser Welt den Kampf ums Dasein durch- 
zufechten obne starke Rüstung zu Lande und zu Wasser, ist für ein Volk 
von bald sechzigMillionen, das die Mitte von Europa bewohnt und gleichzeitig 
seine wirtschaftlichen Fühlhörner ausstreckt nach allen Seiten, noch nicht 
gefunden worden. In dem kommenden Jahrhundert wird das deutsche 
Volk Hammer oder Amboß sein.“ Wurde dieser Hinweis auf die Vergangen- 
heit, auf unsere geographische Lage, auf die Leidensgeschichte des deutschen 
Volks vom Reichstag, wurde er im Volke verstanden ? Als ich davon sprach, 
daß der Fremde einst auf uns herabgesehen habe wie ein hochnäsiger Kava- 
lier auf den bescheidenen Hauslehrer, entstand im Hause die Heiterkeit 
verständnisloser Unbildung, obschon die Mentalität des Auslands gegen- 
über dem Deutschen früherer Jahrhunderte nicht prägnanter gekennzeich- 
net werden konnte. Und wie sieht seit unserem Zusammenbruch und der 
Novemberrevolution, seit 1918, der Fremde wieder herab auf unser einst 
so glückliches und stolzes Volk! „„Comme je vous plains“, sagte mir nach 
meiner Rückkehr nach Rom 1920 ein deutschfreundlich gebliebener alter 
italienischer Freund, „de voir votre pays tombe& si bas.“ 
Am letzten Tage des alten Jahrhunderts erhielt ich von König Karl von 
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe I, 5. 88; Kleine Ausgabe I, S. 96.
	        
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