DER MARSCHALLSTAB WILHELMS II. 365
in Begleitung des Prinzen Albrecht, auf den er großen Einfluß ausübte, aus
Hannover angereist und bat Seine Majestät „im Namen der Armee“, die
Würde eines preußischen Feldmarschalls anzunehmen. Der Kaiser folgte
gern dieser Aufforderung und nahm seitdem bei jeder passenden Gelegen-
heit mit Freuden den prächtig verzierten Marschallstab in die Hand. Es
liegt eine tiefe Tragik darin, daß derselbe Monarch, der nichts lieber und
lauter betonte als seine militärischen Würden und Vorrechte, der sich an
den Abzeichen seines militärischen Ranges wie kaum ein anderer Fürst
delektierte und bisweilen fast berauschte, der keine Gelegenheit vorüber-
gehen ließ, den Marschallstab zu führen, der an Paraden und Parade-
märschen, an Kavallerieattacken und Frontalangriffen im Manöverfelde
nie genug hatte, in den Hintergrund trat, als Bellona ihm ihr strenges
Antlitz zuwandte und der wirkliche Krieg begann. Schon im Sommer 1914
wurde auf Allerhöchsten Befehl offiziös verbreitet, daß der Kaiser auf eine
Frage nach dem Stande der militärischen Operationen erwidert habe, er
wisse darüber nicht mehr als andere. Das wäre die Sache des General-
obersten von Moltke. Es war dies derselbe Wilhelm II., der, nachdem er das
schöne Buch von Heinrich Friedjung über den Kampf um die Vorherrschaft
in Deutschland mit brennendem Interesse gelesen hatte, vor einer größeren
Korona in vollem Ernst erklärt hatte: im letzten Ende sei doch der preu-
Bische Sieg von 1866 darauf zurückzuführen, daß König Wilhelm bei
Königgrätz seine Armee selbst geführt, Kaiser Franz Josef aber den Ober-
befehl über sein Heer anderen anvertraut habe.
Im Laufe des Weltkrieges hörte jede ernstliche militärische Mitwirkung
oder gar Einwirkung und Entscheidung des „obersten Kriegsherrn“ mehr
und mehr und schließlich völlig auf. Er erschien immer seltener an der
Front, und wenn er kam, wurde er als unbequemer, beinahe lästiger Zaun-
gast empfunden und behandelt. Wer Rosners Buch „Der König“ liest, das
die Rolle, die in den Monaten der letzten Entscheidung Wilhelm II. bei
seiner Armee spielte, nur zu anschaulich schildert, wird je nach seinem
Temperament Wehmut oder Zorn empfinden. Jedenfalls erweckt der Nach-
fahre großer Heerkönige, eines Friedrich II. und Wilhelm I., der Sohn des
Siegers von Wörth und Weißenburg, schmerzliche Gefühle, wenn er auf der
Warte von Menil von einem alten Johanniter über die Bewegungen seiner
kämpfenden und blutenden Truppen kümmerlich orientiert wird. Ein
preußischer König, der in der Stunde, wo beim Wirbel preußischer Trom-
meln, die glorreiche schwarz-weiße Fahne vor sich, preußische Regimenter
zum entscheidenden Angriff vorgehen, wo über Dynastie und Volk die
eisernen Würfel fallen, nichts anderes zu leisten vermag, als in Unkenntnis
aller Vorgänge und mit völliger Passivität seine erprobte Fähigkeit in
stundenlangem Stehen auf derselben Stelle zu betätigen, wirkt wie ein
Der oberste
Kriegsherr