Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Waldersee 
Oberbefehls- 
haber in China 
366 WALDERSEE, DER WELTMARSCHALL 
Hohn auf die ganze preußische Geschichte. So furchtbar rächt sich an 
Wilhelm II., daß er seit jeher den Schein für Wirklichkeit genommen und 
Spiel mit Ernst verwechselt hatte. 
Die erschütternden Bilder, die fast zwei Jahrzehnte später die große 
Wende von 1918 vor ihm entrollen sollte, lagen noch in weiter Ferne, als 
Wilhelm II. froh und stolz den ihm von Prinz Albrecht und Graf Waldersee 
überreichten Feldmarschallstab in die Hand nahm. Gutmütig, wie er war, 
und immer gern bereit, auch anderen Freude zu machen, ernannte er bald 
nachher fünf Generale, die übrigens alle diese Ehre in hohem Grade ver- 
dienten, zu Generalfeldmarschällen: den General von Lo&, meinen hoch- 
verehrten einstigen Kriegsobersten und langjährigen Freund, den würdigen 
General von Hahnke, den genialen Grafen Alfred Schlieffen, den Grafen 
Gottlieb Haeseler, eine der herrlichsten Gestalten unserer herrlichen alten 
Armee, und den geistvollen General Kolmar von der Goltz. War im 
Sommer 1900 der Gedanke, Waldersee zum Oberkommandierenden in 
China zu ernennen, von ihm selbst ausgegangen oder von Seiner Majestät ? 
Ich habe das nie ergründen können. Jedenfalls war Waldersee hocherfreut 
über die Aussicht, wieder auf der großen Weltbühne erscheinen zu können. 
Er war sogar so erfreut, daß er in Hannover, wo er seit seiner Verab- 
schiedung lebte und wo ihn das kaiserliche Telegramm mit der Ankündigung 
der ihm bevorstehenden Mission ereichte, die frohe Botschaft sofort jedem 
mitteilte, so daß sie noch an demselben Tage in alle Zeitungen gelangte. 
Ich hatte, als ich von Philipp Eulenburg hörte, daß der Kaiser die 
Absicht habe, den Oberbefehl über die Kontingente aller Mächte in die 
Händedes Grafen Waldersee zu legen, Seiner Majestät telegraphisch geraten, 
der ganzen Frage des Oberbefehls erst näherzutreten, wenn der Ernst der 
militärischen und politischen Lage in China allen Mächten noch mehr zum 
Bewußtsein gekommen sein würde. Es war aber kein Halten mehr. In dem 
kaiserlichen Sonderzug, der den Kaiser und mich zu der Beisetzung des am 
30. Juli 1900 verstorbenen Herzogs Alfred von Koburg, des zweiten Sohnes 
der Königin Victoria von England, nach Koburg führte, teilte mir der 
Kaiser mit, daß er, der „freudigen“ Zustimmung des Zaren im voraus 
gewiß, ihm den Grafen Waldersee als Oberkommandierenden für China in 
Vorschlag gebracht habe. Der Zar hätte zugestimmt. Ich möchte nun dafür 
sorgen, daß auch die übrigen Mächte ihre Zustimmung zu der Ernennung 
des Grafen Waldersee gäben. 
Ich machte darauf aufmerksam, daß ich, um dies zu erreichen, so bald 
als möglich nach Berlin zurückkehren müsse, um dort persönlich mit den 
Vertretern der Großmächte Fühlung zu nehmen und gleichzeitig unsere 
Vertreter in den europäischen Hauptstädten zu instruieren, was der 
Kaiser gern genehmigte.
	        
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