EIN DICKER STRICH 369
An diesem Grundsatzrüttelte aber auch, sovielich weiß, niemand. Unterdem
Schutz der englischen Tlagge hat sich wie an vielen anderen Punkten des
Erdteils so auch am Jangtse der deutsche Handel in der Vergangenheit
blühend entwickelt. Deutsche und englische Handelshäuser arbeiten dort
einträchtig Hand in Hand. Den Kreisen, die wir schützen wollen, wäre
nichts unerwünschter als ein Zerwürfnis mit England. Den Schutz unserer
Untertanen im Jangtse können wir, wenn erforderlich, nun auch selbst
ausüben, Truppen landen und unsere Niederlassungen beschützen. Die
Notwendigkeit hierzu wird nach außen hin aber nur einleuchtend sein,
wenn auch andere Staaten unter dem gleichen Zwang der Umstände eben-
falls Truppen landen, am besten nach Verständigung ä l’amiable mit dem
Engländer. Der Norden Chinas wird stillschweigend den Russen überlassen,
darunter kommen wir, ganz im Süden spreizen sich die Franzosen. Da-
zwischen bleibt der Jangtsekiang, allerdings das Beste, wo von alters her
bis auf den heutigen Tag trotz unserer raschen Fortschritte die englischen
Interessen bei weitem überwiegen. Es steht uns frei, den Jangtse durch
unseren Handel auch weiter zu erobern, sobald wir aber durch politische
Maßnahmen wie z. B. Machtentfaltung ohne zwingenden Grund zeigen
oder andeuten wollen, daß wir dort die „paramount power“ spielen wollen,
so wird sich daraus sofort eine Machtfrage zwischen England und uns nach
Art der Transvaalfrage im Jahre 1895 und wahrscheinlich mit demselben
Ausgange zuspitzen. So weit werden Sie es aber gewiß nicht kommen lassen.
England wird sich nicht politisch ohne Kampf aus seiner Position im Jangtse
hinausdrängen lassen. Durch den Handel können wir den Jangtse mehr
und mehr erobern, durch die Politik nicht. Zwei Ergebnisse dauernder Art
unserer jüngsten Chinapolitik liegen jetzt schon vor: wir haben gelernt,
größere Truppentransporte über Meer zu schicken, und wir haben den
Stamm zu einer Kolonialtruppe erworben.“
Als Kaiser Wilhelm mit so stürmischem Eifer die Expedition gegen
China in Szene setzte, und namentlich als er die Ernennung des Grafen
Waldersee zum Oberkommandierenden betrieb, ging er davon aus, daß es
seinem Generalfeldmarschall, den die Witzblätter schon den Weltmarschall
nannten, vergönnt sein würde, den Chinesen in großer Feldschlacht eine
vernichtende Niederlage beizubringen, Peking mit stürmender Hand zu
nehmen und die dort belagerten Gesandten selbst zu befreien. Alle kaiser-
lichen Ansprachen waren auf diese Erwartung zugeschnitten. Der Kaiser
rühmte laut die glänzenden militärischen Eigenschaften der Chinesen,
offenbar in dem Gedanken, daß die Besiegung so tapferer Krieger nur um so
ruhmreicher erscheinen würde. Durch alle solche Erwartungen und Phanta-
sien, Hoffnungen und Träume machten die Ereignisse einen dicken Strich.
Graf Waldersee traf erst am 27. September in China ein. Aber schon am
24 Bulow I
Verspätete
Ankunft in
China