WER WIRD KANZLER? 373
der während der Dekadenz des Second Empire im Corps legislatif als
Mädchen für alles die kaiserliche Politik verteidigte. Der Kaiser fuhr
fort: „Ein solcher Sprechminister geht bei uns doch wohl nicht. Onkel
Chlodwig ist ja auch kein Cicero. Aber er besitzt aus seiner Münchener
Ministerzeit parlamentarische Erfahrung. Er ist dreißig Jahre älter als
Phili. Er hat eine große politische Vergangenheit, die Phili nicht besitzt.
Phili würde schwerlich im Parlament auf soviel Rücksicht und Schonung
rechnen können, wie sie der alte Fürst Hohenlohe genießt.‘“ Nach einer
kleinen Pause fuhr der Kaiser fort: ,„„Von mancher Seite ist mir zu Herrn von
Wedel-Piesdorfgeraten worden, meinem Hausminister. Als solcher macht
er ja seine Sache recht gut. Aber er ist fast noch mehr konservativer Partei-
mann als Pod, und nachdem mir die Konservativen in der Kanalfrage eine
solche freche Opposition gemacht haben, dürfen sie bis auf weiteres nicht
heran.“ Ich frug den Kaiser, ob er nicht auch an diesen oder jenen General
gedacht hätte. „Freilich !““ war die Antwort. „Ich habe an Bock vom Garde-
korps gedacht, an Liegnitz vom dritten Korps, an meinen alten Freund und
Generaladjutanten Wittich vom elften Korps. Auch Lindequist vom acht-
zehnten und Adolf Bülow vom vierzehnten Korps sind mir durch den Kopf
gegangen. Alles tadellose Offiziere, prächtige Kameraden. Aber würden sie
mit diplomatischen Schwierigkeiten fertig werden ? Auch habe ich keine be-
sonders angenehme Erinnerung an Caprivi, der als Militär hervorragend
war, als Kanzler aber mich durch Harthörigkeit und Bockbeinigkeit oft
geärgert und alles in allem versagt hat. Nun proponieren Sie mir aber end-
lich Ihre Kandidaten.“
Ich nannte in erster Linie den Grafen Botho Eulenburg, der ein Staats-
mann wäre, was man bei aller Freundschaft weder von Phili noch von Pod
behaupten könne. Graf Botho Eulenburg sei konservativ gerichtet, aber
ohne Scheuklappen. Die Staatsräson stünde für ihn hoch über der Partei-
schablone. Der Kaiser lehnte diese Kandidatur ab. Gewiß empfände er für
den Grafen Botho Eulenburg hohe Achtung, aber er wäre ihm zu sehr Büro-
krat. Darum wäre er ihm schon als preußischer Ministerpräsident seinerzeit
auf die Nerven gegangen. Als Reichskanzler würde das noch mehr der Fall
sein. Graf Botho Eulenburg verstünde auch nichts von auswärtiger Politik,
die er zu sehr als ein aus dem Verwaltungsdienst hervorgegangener Beamter
auffassen und behandeln würde. Auch schien dem Kaiser der Gedanke
nicht sympathisch, daß von zwei Brüdern der eine Reichskanzler, also
oberster Reichsbeamter, der andere Oberhofmarschall, also oberster
Hofbeamter sein sollte. Fürst Bismarck zitierte gelegentlich das pommer-
sche Sprichwort: „Wenn das Gesinde sich zankt, wird die Herrschaft gut
bedient.‘ Kaiser Wilhelm II. liebte nicht Intimitäten zwischen seinen ver-
schiedenen Dienern. Ich lenkte die Aufmerksamkeit Seiner Majestät