Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

374 KEINE LÖSUNG 
nunmehr auf den Finanzminister Miquel. Der Kaiser protestierte beinahe 
stürmisch. Er habe jedes Vertrauen zu ihm verloren, Bismarck habe die 
Menschen oft ungerecht beurteilt, aber wenn er mit Bezug auf Miquel von 
der bei diesem fehlenden pupillarischen Sicherheit gesprochen habe, so hätte 
er damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich schlug den Staatssekretär 
des Innern, Graf Posadowsky, vor. Der Kaiser meinte, Posadowsky 
verstünde auch nichts von der auswärtigen Politik. Er wäre ebensosehr 
Bürokrat wie Botho Eulenburg, nur mit weniger guten Formen und ohne die 
elegante Erscheinung des ostpreußischen Grafen. Auch von dem damaligen 
Botschafter in Rom, dem Grafen Karl Wedel, wollte der Kaiser im Jahre 
1900 ebensowenig hören wie neun Jahre später bei meinem Rücktritt. 
Er warf diesem ausgezeichneten und charaktervollen Mann „ostfriesischen 
Eigensinn und Rechthaberei“ vor und meinte, ein Zusammengehen mit ihm 
würde nicht lange dauern. In letzter Linie nannte ich als proximus, sed 
longo intervallo den Statthalter von Elsaß-Lothringen, den Fürsten Her- 
mann von Hohenlohe-Langenburg. Der Kaiser schnitt auch diese Kan- 
didatur mit den Worten ab, daß ihn der Vetter des Statthalters, der Reichs- 
kanzler Fürst Chlodwig Hohenlohe, dringend gewarnt habe, den Fürsten 
Hermann zum Reichskanzler zu machen. Als er Onkel Chlodwig seine Ver- 
wunderung darüber ausgesprochen hätte, daß er seinen Vetter nicht gern 
an erster Stelle sähe, habe der alte Herr erwidert: „Gerade weil er mein 
Vetter ist, will und kann ich ihn nicht als Reichskanzler empfehlen, denn er 
würde nicht nur sich selbst, sondern unser ganzes Haus blamieren.‘“ Onkel 
Chlodwig hätte seinen Vetter Hermann Langenburg mit den Worten 
charakterisiert: „Nur als Fassade zu gebrauchen.“ Statthalter in Straßburg 
möge er bleiben, aber dem Amt des Reichskanzlers wäre er wirklich nicht 
gewachsen. Wenn ich heute an jene Unterredung mit Wilhelm II. zurück- 
denke, so finde ich, daß sowohl der Kaiser als ich selbst die meisten der vor- 
genannten Kandidaten zu streng beurteilten. Professor Einstein hat recht, 
daß alles relativ ist. Verglichen mit den meisten der Kanzler, die wir seit 
dem Umsturz erlebt haben, waren Botho Eulenburg und Miquel, Karl 
Wedel und Posadowsky wahre Halbgötter. Damals war man anspruchs- 
voller. 
Die Unterredung zwischen Seiner Majestät und mir führte zu keinem 
bestimmten Ergebnis. Der Kaiser war nur darin völlig mit mir einver- 
standen, daß dem Fürsten Chlodwig Hohenlohe sein Bleiben in jeder Weise 
erleichtert werden müsse. Am nächsten Tag wurde ein Spaziergang am Ufer 
des nahe gelegenenen Werbellin-Sees unternommen. An diesem großen, 
einst an Muränen reichen See hatte in grauer Vorzeit das Schloß Grimnitz 
gestanden, wo Markgraf Waldemar seinen bei ihm in Ungnade gefallenen 
Kanzler Nikolaus von Buch in den Kerker werfen und verhungern ließ.
	        
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